berliner abendblätter 2.00 am 21.1.

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Angesichts der Todesfälle und sonstigen Vorkommnisse in der Bundeswehr fängt das Ende der Wehrpflicht an unter einem anderen Licht zu stehen: handelt es sich bei der Traditionsarmee um eine kriminelle Vereinigung, deren Mitgliedschaft kein wohlmeinender Staat zur Pflicht machen kann?
In dem Extrablatt werden zwei Vorfälle aus dem vergangenen Jahr thematisiert.
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Rätsel um geöffnete Feldpost aus Afghanistan
Berlin (dpa) – Feldpostbriefe von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan sind möglicherweise in großem Stil systematisch geöffnet worden. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) leitete am Mittwoch nach einem Hinweis des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus (FDP) Ermittlungen ein.
«Es ist untragbar, dass Briefe geöffnet werden», sagte er in Berlin. Die Untersuchungen würden «mit Hochdruck» vorangetrieben. Falls sich der Verdacht bestätige, werde es Konsequenzen geben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt die Bemühungen Guttenbergs. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, handele es sich um einen schwerwiegenden Vorgang, «also muss man dem jetzt nachgehen», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Königshaus hatte die Hinweise in der vergangenen Woche während einer fünftägigen Afghanistan-Reise erhalten. Zahlreiche Soldaten des Ausbildungs- und Schutzbataillons berichteten ihm über geöffnete Post. Teilweise seien Umschläge ohne Inhalt zu Hause angekommen. «Was immer die Motive, was immer die Absichten derer waren, die das getan haben, es ist ein Verstoß gegen das hohe Gut des Postgeheimnisses», sagte Königshaus dem Sender HR-Info.
Die geöffneten Briefe wurden nach den Erkenntnissen des Wehrbeauftragten ausschließlich vom Vorposten «OP North» in der nordafghanischen Provinz Baghlan abgeschickt. Guttenberg hatte die Soldaten, die dort an vorderster Front an der Seite afghanischer Soldaten kämpfen, vor wenigen Monaten besucht.
Bei den Absendern soll es sich vorwiegend um Fallschirmjäger aus dem niedersächsischen Seedorf handeln. Die Soldaten im «OP North» sind weitgehend auf die Feldpost angewiesen, um Kontakt zur Heimat zu halten. Internet und Telefon sind dort nur sehr eingeschränkt nutzbar.
Guttenberg sagte, es sei «sehr bemerkenswert», dass die Hinweise nur aus diesem Truppenteil kämen. Königshaus wollte über Motive für eine Verletzung des Briefgeheimnisses nicht spekulieren. Er zeigte sich sicher, dass das Verteidigungsministerium den Vorgang zuverlässig aufklären werde. «Ich habe keinen Anhaltspunkt dafür, dass im Ministerium womöglich etwas vertuscht wird.» Außerdem werde sich die zuständige Staatsanwaltschaft einschalten, sobald sich der Anfangsverdacht auf eine Straftat bestätige.
Der Bundeswehrverband verlangte zügige Aufklärung. Die Opposition witterte bereits einen handfesten Skandal. «Das ist ein verheerender Vorfall, der umgehend aufgeklärt werden muss», erklärte Grünen- Verteidigungsexperte Omid Nouripour. «Ein solch eklatanter Verstoß gegen das Recht auf Privatheit muss personelle Konsequenzen haben, wenn die Verantwortlichen feststehen.»
Auch die FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger forderte Aufklärung. Sie sagte aber gleichzeitig, es sei nicht vorstellbar, dass eine politische Direktive hinter den Vorgängen stecken könnte.
In der Feldpostleitstelle Darmstadt der Bundeswehr gibt es laut Deutscher Post keine Hinweise auf geöffnete Feldpostbriefe von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. «Es gibt keinen Anhaltspunkt für einen Anfangsverdacht», sagte der Sprecher der Post Frankfurt/Main, Stefan Heß. «Nach bisheriger Erkenntnis hatten wir mit diesen Sendungen noch gar keine Berührung.» Es handele sich allem Anschein nach eher um ein Problem der Bundeswehr als der Post.
Bundeswehrsoldaten verschicken jeden Monat rund 130 000 Briefe und 70 000 Päckchen per Feldpost. Das entspricht nach Bundeswehrangaben dem jährlichen Postaufkommen einer Stadt mit 70 000 Einwohnern wie beispielsweise Celle.
SZ, 19.1., 16.55 Uhr.
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Säuretanker
Innenminister Bruch warnt Schaulustige vor „Waldhof“-Bergung
Die Schaulustigen, die am Donnerstag an der Unglücksstelle des gekenterten Säuretankers „Waldhof“ kamen, wurden von Innenminister Karl Peter Bruch (SPD) eindringlich vor Gefahren gewarnt. „Der Tanker steht unter Druck und hat eine hoch konzentrierte Chemikalie an Bord“, so Bruch. Für die Bergungsarbeiten nächste Woche werden mehrere Kräne im Rhein verankert, die das Schiff anheben werden.
Der Rhein wurde laut Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) am frühen Nachmittag eingeschränkt freigegeben. Derweil ist der Bergekran „Grizzly“ an der Unfallstelle eingetroffen.
Die beiden weiteren Schwimmkräne „Atlas“ und „Amsterdam“ sind Angaben des Sprechers der Einsatzleitung zufolge unterwegs und werden im Laufe des Wochenendes erwartet.
Laut Innenministerium kann mit den Arbeiten an der „Waldhof“ aber nicht sofort mit dem Eintreffen der Kräne begonnen werden. Diese müssten zunächst in der Strömung des Rheins verankert werden, sagte Innenstaatssekretär Roger Lewentz (SPD) der Nachrichtenagentur dapd. Ein leeres Tankschiff stehe in St. Goarshausen zur Verfügung, um die Schwefelsäure aus dem Havaristen gegebenenfalls aufnehmen zu können. Diese könne vermutlich aber erst abgepumpt werden, wenn der Kahn gedreht wurde. Den Bergungsexperten zufolge kann das Vorhaben gelingen, ohne dass das Schiff auseinanderbricht. Droht diese Gefahr, müsse die Schwefelsäure kontrolliert in den Fluss eingeleitet werden. Durch die Verdünnung sei dies für das Ökosystem ungefährlich. „Alle Wasserwerke bis nach Holland wurden aber informiert“, sagte Lewentz.
Einige Schiffe dürfen fahren
Das Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) hat unterdessen eine teilweise Freigabe des Rheins am gekenterten Tanker entschieden. Bis zum Einbruch der Dunkelheit würden ausgewählte Schiffe stromaufwärts an der Unfallstelle vorbei geleitet. Dabei werde die Position der auf der Seite liegenden „Waldhof“ permanent überwacht, sagte ein Sprecher. „Talabwärts bleibt der Rhein aber gesperrt“, fügte er hinzu. Mittlerweile stauten sich 273 Schiffe zwischen Mainz und Burgbrohl (Kreis Ahrweiler).
Donnerstag 20.01.2011, 15:49, focus online
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Der Artikel, der hier stand, wurde am 24.2. vom Deutschlandradio abgemahnt und sofort entfernt.
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Letztes Wort
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„Je ne sens autre chose qu’une difficulté d’être.“ („Ich fühle nichts außer einer Schwierigkeit zu existieren.“) [zu einem Arzt, der fragte, ob er leide]
Bernard le Bovier de Fontenelle, französischer Schriftsteller, 1757, gestorben 33 Tage vor seinem 100. Geburtstag

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Extrablatt
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Marine ermittelt auf Segelschulschiff
Meuterei auf der „Gorch Fock“ – was passierte wirklich?
Die Meuterei-Vorwürfe auf dem Marine-Segelschulschiff „Gorch Fock“ sorgen für Entsetzen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, reagierte bestürzt, warnte aber vor Vorverurteilungen.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Von sexueller Belästigung, Bedrohungen, Druck ist die Rede, auch das Wort Meuterei fällt. Auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“, dem Aushängeschild der Marine, ist es nach dem Tod einer Kadettin im November zu schweren Konflikten zwischen Stammbesatzung und Offiziersanwärtern gekommen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verlangte am Donnerstag „rückhaltlose Aufklärung“. Aufschluss erhofft er sich von einem Ermittlungsteam, das die Vorgänge aufklären soll. Die „Gorch Fock“ kehrte indes um und nahm Kurs auf ihren letzten Hafen Ushuaia in Argentinien, wo sie auf die Untersuchungskommission warten soll. Das Team wird laut Ministerium noch zusammengestellt und soll sich dann auf den Weg machen. Unklar war zunächst, wann es in Argentinien an Bord geht. Den Anstoß für die Untersuchungen hat ein Brief des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus gegeben. Darin berichtet er unter Berufung auf Eingaben und Gespräche mit Offiziersanwärtern, dass die Stammbesatzung Auszubildende bedroht und sexuell belästigt habe. Außerdem geht es um Meuterei-Vorwürfe. Nach dem tödlichen Unfall hätten viele nicht mehr aufentern (in die Takelage klettern) wollen, heißt es in dem Schreiben. Dennoch sei starker Druck auf die Kadetten ausgeübt worden. Vier Offiziersanwärter hätten wegen „Meuterei und Aufhetzens“ von der Ausbildung abgelöst und nach Deutschland zurückgeflogen werden sollen. Königshaus stellte aber am Donnerstag klar: „Es gab keine Meuterei“. Dem Fernsehsender N24 sagte er weiter:„Es gab einige, die dort gesagt haben: Vor dem Hintergrund dieses tragischen Unfalls möchten wir nicht zum Tagesbetrieb übergehen. Das wurde von der Schiffsführung nicht gutgeheißen.“ Auch die Marine sträubt sich gegen den Begriff „Meuterei“. „Wir werden jetzt alles Menschenmögliche tun, um den Sachen nachzugehen und das aufzuklären“, sagte Marine-Sprecher Alexander von Heimann. Die Untersuchungskommission soll zügig und mit gebotener Sorgfalt Gespräche mit allen Beteiligten führen. Die Marine erwartete den Dreimaster noch am Donnerstag gegen 18.00 Uhr deutscher Zeit in der südlichsten Stadt Argentiniens. Das Klettern in die Takelage gehört im Bordalltag dazu. „Wenn es heißt Aufentern, dann heißt es Aufentern. Da wird nicht diskutiert“, sagte Heimann. Aber in begründeten Einzelfällen werde davon abgesehen. Zu Vorwürfen, nach denen die verunglückte Offiziersanwärterin mit einer Körpergröße von 1,59 Meter nicht in die Takelage hätte klettern dürfen, äußerte sich die Marine zunächst nicht. „Die Untersuchungen in dem Unglücksfall sind noch nicht abgeschlossen“, hieß es. An Bord der „Gorch Fock“ ist derzeit die Stammbesatzung unter Kapitän Norbert Schatz. Die Ausbildung war nach dem tödlichen Sturz der 25-jährigen Offiziersanwärterin ausgesetzt worden. Die anderen Anwärter kehrten nach Deutschland zurück. Ihre Aufgaben wurden von der Stammbesatzung und eingeflogenen Soldaten übernommen, damit der Dreimaster die Fahrt fortsetzen konnte. Ein Ministeriumssprecher sagte: „Es gibt keine Entscheidung, dass die Reise abgebrochen wird.“ Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, warnte vor voreiligen Schlüssen. Man müsse prüfen, ob Sicherheitsbestimmungen verletzt worden seien, sagte Kirsch dem „Hamburger Abendblatt“ (Donnerstag). „Manchmal stellt sich am Ende manches anders dar als am Anfang.“ Kirsch verteidigte das Ausbildungskonzept auf dem Segelschiff. „Es gibt keine bessere Ausbildung als auf einem Schiff, wenn es um den Crew-Gedanken geht.“ Das Konzept werde sich auch in Zukunft bewähren.
Nicola Kabel / abendblatt.de, 20.1., 14.44 Uhr
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Unfälle auf der Gorch Fock laut wikipedia
* Am 17. September 1998 verunglückte ein Offizieranwärter durch einen Sturz von der Groß-Obermars an Backbordseite aus zwölf Metern Höhe tödlich.
* 2002 starb ein 19-jähriger Soldat nach einem Sturz vom Großmast.
* In der Nacht zum 4. September 2008 ging eine 18-jährige Offizieranwärterin über Bord und ertrank. Ihre Leiche wurde elf Tage später von einem Boot der Fischereiaufsicht 65 Seemeilen nordwestlich von Helgoland geborgen. Als Unfallursache wurde Ausrutschen festgestellt.
· Während eines Hafenaufenthalts in Salvador da Bahia (Brasilien) starb am 7. November 2010 eine Offiziersanwärterin nach einem Sturz unterhalb der Untermarssaling im Großmast an Backbord aus 27m Höhe beim Niederentern. Die Lehrgangsteilnehmerin war gerade erst am 2. November 2010 in Brasilien eingeschifft worden.
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Es sind schockierende Zustände: Ein Ex-Offiziersanwärter der Bundeswehr erzählt, was er auf der berühmt-berüchtigten „Gorch Fock“ erdulden musste.
Frank Matthies* gehörte einst zu den Offiziersanwärtern der „Gorch Fock“. Jetzt schildert er auf „Welt Online“ die Missstände an Bord des Vorzeigeschiffs:
Im Juli 2004 ging ich in Kiel an Bord der „Gorch Fock“. Zwei Wochen „Segelvorausbildung“, dann sollten wir unter vollen Segeln in See stechen. Ich gehörte als sogenannter Seiteneinsteiger zu den dienstältesten Offiziersanwärtern an Bord. Als Seiteneinsteiger hatte ich bereits zuvor eine Grundausbildung absolviert und war danach im Einsatz am Horn von Afrika. Für die Laufbahn der Offiziere entschied ich mich erst später und wusste grob, auf was ich mich einließ – aber nicht, was an Bord auf mich zukommen sollte.
Die „Fock“, wie wir sie kurz nannten, sucht man sich nicht aus. Sie ist fester Bestandteil des Offiziersgrundlehrgangs. Erzählungen über den Segler hatten mir Bauchschmerzen bereitet. Die Stammbesatzung, viele in Rängen unter mir, verhielt sich überwiegend respektlos. Gleich zu Beginn der Ausbildung waren die Lager klar: Offiziersanwärter auf der einen, Stammbesatzung und Schiffsführung auf der anderen Seite. Wer sich über die gesamte Ausbildungszeit unterwarf und spurte, konnte dann und wann die Grenzen zur Besatzung überwinden. Wer sich jedoch nicht unterwürfig verhielt, wurde – wie in meinem Fall –, gern mit scharfem Ton und Blick in die hohen Masten vermittelt: „Pass bloß auf, da oben sind wir allein!“, hieß es dann drohend. Hier gab es kein Miteinander.
„Meuterei“ – Wenn zwei Offiziere zusammenstanden
Aus meiner Sicht irrt, wer später behauptet, durch den erzeugten Druck des Gegeneinanders würde der angestrebte Crewgedanke geformt. Nach unserer firmeneigenen Philosophie der inneren Führung wird Zusammenhalt durch Offenheit, Vertrauen und Akzeptanz geschaffen, nicht durch Ab- und Ausgrenzung.
Von „Meuterei“ sprachen Ausbilder bei uns im Spaß, wenn mehr als zwei angehende Offiziere zusammenstanden und sich unterhielten. Doch aus Spaß kann schnell Ernst werden. Bei uns kam großer Ärger auf, weil wir nachweisbar und wiederholt von der Stammbesatzung beklaut wurden. Wenn es auch bei uns zu einem Todesfall wie jenem von Sarah S. gekommen wäre – die Reaktionen hätten sich zu denen von heute wohl nicht unterschieden, so groß war der Groll.
Die Offizieranwärter des Truppendienstes, Sanitätsoffizieranwärter der Deutschen Marine und Unteroffiziere des seemännischen Dienstes werden im Rahmen einer Auslandsausbildungsreise auf dem Schiff geschult.
Meist brechen sie zu langen Fahrten in alle Teile der Welt auf.
Während dessen dient die „Gorch Fock“ auch als eine Art Botschafter für die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Marine.
Eine Stammbesatzung von 85 Personen kann bis zu 138 Lehrgangsteilnehmer betreuen.
Kommandant des Schiffes ist seit 2006 Kapitän zur See Norbert Schatz.
Die „Gorch Fock“ ist ein Schiff vom Typ Stahl-Bark, das heißt sie hat drei Masten und trägt an den vorderen Masten trapezförmige Rahsegel, am letzten Mast dagegen verschiebbare, schräg nach oben ragende Gaffelsegel.
Außerdem ist sie ein Glattdecker, also ein Schiff mit einem von Bug bis Heck ununterbrochen durchgehenden Hauptdeck.
Sie misst 70,40 Meter Länge und zwölf Meter Breite.
Ihre Höchstgeschwindigkeit beträgt zwölf Knoten mit Motor, 18 Knoten mit Segeln.
Gewöhnlich steht jeder militärische Führer hinter seinen ihm anvertrauten Soldaten. Besonders im Einsatz und auf hoher See. Die Schilderungen jetzt zeigen, dass das auch bei Sarah S. nicht der Fall war. Sie hatte, wie ich, als Unteroffizier schon Vordienstzeit. Sie stand ebenfalls im Einsatz am Horn von Afrika ihren „Mann“. Als ich während meiner Ausbildungszeit, ebenso wie in den Medien heute geschildert, als Dienstältester zwischen Führung und Offizieren fungieren sollte, wurde ich oft konfrontiert mit Ignoranz, ungehaltenen Versprechen und Herunterredereien. So könnte ich es nachzuvollziehen, wenn sich junge Soldaten vor diesem Hintergrund unverstanden fühlen und ihre Trauer und Wut wohlmöglich in Aufbegehren umschlägt.
Bei einer maximalen Höhe von 45 Metern endet spätesten bei Wind und Wellengang jegliches Kinderspiel. Hinzu kommen Müdigkeit und Stress. Wenn wir nachts während unserer Seewache müde wurden, ließ man uns zum „Wachwerden“ übungsweise auf- und abentern. Im Ernstfall schlagartig fit zu sein ist für jeden Soldaten elementar, sicherlich. Jedoch ist die „Fock“ in keinem Einsatz, in keinem Krisengebiet. So empfand ich das ständige Rauf und Runter als wenig sinnvoll, sogar für brandgefährlich.
Auf keinem anderen Schiff in der Marine geht man nachts auf hoher See so unbedacht ans Werk. Als „Posten Back“ etwa steht man in der Nacht vorne, nahe der Galionsfigur des Großseglers. Von dort „singt“ man alle halbe Stunde mit einer alten Flüstertüte an den wachhabenden Offizier die Beobachtungen auf See aus, macht also Meldung. Angesichts moderner Radartechnik völlig überholt und nur der Tradition wegen – eine riskante Tradition. Darf man auf einer Fregatte höchsten zu zweit bei Nacht an Oberdeck, so steht man hier alleine, meldet sich nur alle halbe Stunde. Einem meiner Kameraden fiel bei Seegang die Flüstertüte aus der Hand. Aus Sorge vor Ärger sprang er dem Blechkegel hinterher, landete im Fangnetz vor dem Bug. Er wurde erst eine Stunde später entdeckt und geborgen! Im September 2008 musste ich an diese Unbedachtheit der Schiffsführung denken, als die Meldung kam, dass die Offiziersanwärterin Jenni B. bei Dunkelheit außenbords ging und in der Nordsee ertrank.
Sechs Soldaten starben angeblich in den letzten zwölf Jahren der insgesamt 52 Dienstjahre der „Gorch Fock“. Seit acht Jahren sind wir mit der Marine in unserem primären Einsatzgebiet am Horn von Afrika. Mir ist nach vielen Jahren als Zeitsoldat und Offizier nicht bekannt, dass dort Soldaten an Bord von Fregatten oder Versorgern ihren Tod fanden. Ferner schwebt mir kein anderer Ort vor, an dem so viele Marinesoldaten starben wie auf der „Fock“, einem Ausbildungsschiff! Und als ich damals sah, wie vor dem In-See-Stechen der „Fock“ Kisten von Kaviar an Bord geschleppt wurden, dachte ich an meine vorangegangene Zeit auf einer Fregatte am Horn von Afrika: Dort durften wir unsere Mails aus Kostengründen nicht einmal ausdrucken. Im Übrigen wurden die schon damals stichprobenartig gelesen, aus Sicherheit, aber gegen das Briefgeheimnis.
Weltonline, 20.1., 17.17 Uhr
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Die bild fragt am 20.1.: Gibt es jetzt auch einen Sex-Skandal auf dem Segelschulschiff?
„Ein Offizieranwärter soll von drei Soldaten der Stammbesatzung sexuell belästigt worden sein, berichtet Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages.
Während eines Hafenaufenthaltes sei der Mann duschen gegangen. Dort sei er von drei Soldaten der Stammbesatzung angesprochen worden. Es sei „auf dem Schiff ähnlich wie im Knast, jeder Neue müsse seinen Arsch hinhalten“.
Und weiter: Sie hätten daraufhin eine Flasche Shampoo auf den Boden geworfen und ihn aufgefordert, sich danach zu bücken. Er habe Angst bekommen und die Dusche schnellstmöglich verlassen, schreibt Königshaus.
(…) Zudem sollen zwei Tage nach dem Tod der Soldatin Teile der „Gorch Fock“-Besatzung eine Karnevalsfeier veranstaltet haben.
„Dass die einen trauern und die anderen feiern, zeigt ja, was in manchen Köpfen der Stammbesatzung gelaufen ist“, erklärte Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.“
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Hauptgefreiter soll durch „Waffenspiele“ vor zehn Zeugen gestorben sein
Guttenberg wollte den fahrlässig Tötenden auffangen
Die erste Version im Dezember lautete: Ein Bundeswehrsoldat sei durch einen versehentlichen Schuss aus der eigenen Waffe getötet worden – nun gibt es eine andere Lesart.
Der 21-jährige Hauptgefreite, der am 17. Dezember in Afghanistan ums Leben kam, starb möglicherweise durch eine Kugel aus der Waffe eines Kameraden. So berichtete es unter anderem die ARD unter Berufung auf den Wehrbeauftragten Hellmuth Königshaus (FDP). Demnach sei der Mann bei „Waffenspielen“ ums Leben gekommen. Nach Informationen von tagesschau.de soll auch von „Posing“ – also von übertriebener Zurschaustellung – die Rede gewesen sein. Insgesamt sei die Rekonstruktion der Vorgänge sehr schwierig, aber es gebe Widersprüchlichkeiten in den Aussagen der damals anwesenden Soldaten, hieß es weiter. Insgesamt waren vermutlich zehn Soldaten anwesend, als der Soldat tödlich verletzt wurde.
„Aus der Waffe eines anderen Soldaten soll sich ein Schuss gelöst haben“, sagte der leitende Oberstaatsanwalt aus Gera, Thomas Villwock, auf Nachfrage. Die Justiz ermittele wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, berichtete die Bild-Zeitung. Villwock sagte, die Zuständigkeit der Ermittler in Gera sei noch nicht klar, erst müsse sicher sein, dass der Getötete seinen Wohnsitz in Gera hatte.
Der Soldat war kurz vor dem Weihnachtsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ums Leben. gekommen. In Berichten hieß es damals, es habe sich ein Schuss gelöst, als der Soldat seine Waffe reinigte. Die Bundeswehr hatte nach dem Vorfall mitgeteilt, der Soldat sei mit einer Schusswunde in einem Außenposten nördlich des Regionalen Wiederaufbauteams Pol-e-Chomri gefunden worden. Später sei er während einer Notoperation im Feldlager gestorben.
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte schon bei dem Besuch der Kanzlerin in Afghanistan indirekt gesagt, dass ein anderer Soldat den tödlichen Schuss ausgelöst habe: „Selbstverständlich ist es auch eine Herzensfrage, diesen Kameraden, von dem das Unglück ausging, und seine Familie aufzufangen.“ Militärpfarrer Thomas Balogh wurde im Dezember mit den Worten zitiert: „Es war kein Kampf, wo es einen klaren Bösen gibt – das könnten wir eher verarbeiten, sondern der, der es tat, ist ja gerade nicht böse.“
© Maurizio Gambarini/dpa, 20.1., 10.35 Uhr
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