„unschuldig wie der Kessel, der explodiert.“
Ein Abend mit Gabriele Tergit und Sling
Es lesen: Karin Fischer und Michael Buchner.
Ist Ihnen bewusst, dass zwischen der Veröffentlichung von Reichsstrafgesetzbuch (1870) und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) und heute eine Revolution gewesen ist? Ach, jetzt erinnern Sie sich: 1918! Das Ende der Kaiserzeit hatte zuerst kein Jota ihrer rechtschöpfenden Hauptwerke verändert.
Die Gerichtssäle im Moabiter Kriminalgericht blieben dieselben, die Beamten und Angestellten waren dieselben, die Weltbilder waren dieselben.
In dieser Zeit haben zwei Berliner tagein tagaus Gerichtsluft geatmet, Charaktere (nicht nur die der Angeklagten) studiert und Urteile rezensiert: Gabriele Tergit (d.i. Elise Hirschmann, verehelichte Reifenberg, 1894-1982) und Sling (d.i. Paul Felix Schlesinger, 1878-1928).
Sie schufen eine Öffentlichkeit, die Voraussetzung war für eine allgemeine Sensibilisierung gegenüber der rückständigen Justiz und also für deren Reform, die freilich 1933 jäh unterbrochen wurde.
Da war der eine der beiden Wandergesellen durch Turmstraßenflure schon tot, als Jude beigesetzt im nicht konfessionell gebundenen Teil des Friedhofs in Stahnsdorf (das Grab ist vorhanden, aber der Weg dorthin ungangbar). Sie überlebte als Jüdin die Nazizeit in London, von wo sie nicht mehr ins geteilte Deutschland zurückkehrte.
Die menschenfreundlichen Gerichtsfeuilletons der beiden sind heute noch Quellen der Inspiration im Kampf gegen Ressentiment und Gesinnungsjustiz.