berliner abendblätter 2.00 am 12.11.

12.11.
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Platzierung im Bundesverfassungsgericht
Der Wahlausschuss des Bundestages hat vorgestern drei neue Richter für das Bundesverfassungsgericht gewählt.
Siegfried Broß, geb. 1946 in Stuttgart geht nach zwölf Jahren. Der Parteilose weigert sich undemokratische Länder oder solche, wo die Todesstrafe exekutiert wird,

zu besuchen und war demzufolge noch nie in den Vereinigten Staaten. .Er hatte keinen Hehl von seiner Skepsis gegenüber einer weiteren europäischen Integration gemacht. Zum Urteil des BverfGer über den Europäischen Haftbefehl legte er in diesem Sinne ein Sondervotum ein. Die Gauweiler-Klage gegen die Ratifikation des EU-Verfassungsentwurfs verschob er als zuständiger Berichterstatter auf unbestimmte Zeit, nachdem dieser Entwurf bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden durchgefallen war. Broß empfand keinen Zeitdruck in der Angelegenheit. Da sich Bundespräsident Köhler entschlossen hatte, erst nach der Entscheidung des BverfGer über die Gauweiler-Beschwerde das Ratifikationsgesetz zu unterzeichnen, wurde Deutschland 2007 EU-Ratspräsident als Nicht-Ratifikationsstaat.
Der Münchener Peter M. Huber, gerade ein Jahr Innenminister im Kabinett der thüringischen Minipräsidentin Lieberknecht, besetzt als Unions-Kandidat den frei gewordenen Richtersessel.
Lerke Osterloh ist 1944 als Tochter von Edo Osterloh bei Oldenburg geboren und scheidet ebenfalls nach zwölf Jahren aus. Sie war Kandidatin der SPD und hatte im 2. Senat den Schwerpunkt Steuerrecht. So erarbeitete sie als Berichterstatterin die Grundsätze des Urteils zur Rentenbesteuerung vom 6. März 2002. Sie gilt als Linksliberale und darf als eine Art 68erin angesehen werden. Ihr Vater hatte nämlich ein politisches Paket aus der Hitlerzeit zu tragen gehabt, von dessen Last er am Ende erdrückt worden ist. Der 1909 geborene Bauernsohn hätte den Hof übernehmen sollen, studierte jedoch als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes evangelische Theologie und trat dem Studentenkampfbund Deutsche Christen bei. Er hatte sich nach einer in einem Brief an Bultmann Ende 1933 geäußerten Bekundung von der „theologischen und menschlichen Luft Göttingens“ anstecken lassen. Das die Volksgemeinschaft und deutsche Rasse verherrlichende „Evangelium im Dritten Reich“ hatte er dort mitpubliziert und am 10.5.1933 eine Bücherverbrennung vor der Albanikirche ausgerichtet. Als Dozent an der Kirchlichen Hochschule Berlin-Zehlendorf und nach seiner fünfjährigen Militärzeit als Artillerieoffizier im Fronteinsatz kann er als ideologisch geläutert angesehen werden. Im August 1945 gelingt ihm die Flucht aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Eine Nachkriegskarriere in der Kirche bricht er ab zugunsten des Eintretens in die Bundes- und später Landespolitik Schleswig-Holsteins, wo er Kultusminister wird. Er habe laut Spiegel (10/1964) die Ansicht vertreten, dass man »keinen [NS-]Verbrecher ungestraft lassen« dürfe, doch hielt er »das nachträgliche Einfangen und Aburteilen einzelner Sündenböcke« und das »späte Opfern einzelner« für problematisch. Laut evangelischem Kirchenlexikon setzte sich O. selbst mit der Frage von Schuld und Verantwortung im Blick auf die nationalsozialistische Terrorherrschaft intensiv auseinander. Das Lexikon spekuliert: „Vermutlich die bedrängte Lage, in die O. als ein auf Ausgleich und Verständigung setzender Vermittler im Kontext solcher Konflikte geriet, ließ ihn seinem Leben am 25. Februar 1964 selbst ein Ende setzen.“ Er hinterließ zwei Kinder aus einer ersten und sechs aus einer zweiten Ehe und war Pate von Ulrike Meinhof. Für Frau Osterloh folgt Monika Hermanns aus dem niedersächsischen Thuine. Nach der Ernennung zur Richterin am Bundesgerichtshof war sie am VIII. Zivilsenat als beisitzendes Mitglied zuständig für Kaufrecht, Wohnraummietrecht und Leasingrecht.
Brun-Otto Bryde war 1943 in Hamburg geboren und seit 2001 im Ersten Senat Richter am Bundesverfassungsgericht auf Vorschlag der Grünen. Zur Unterscheidung der beiden Senate weiß wikipedia: „Der erste Senat ist zuständig für Verfassungsbeschwerden (mit Ausnahme von Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und solchen aus dem Bereich des Wahlrechts) sowie Normenkontrollverfahren, in denen überwiegend die Verletzung von Grundrechten geltend gemacht wird; der zweite Senat entscheidet über die sonstigen Verfahren.“ Susanne Baer, die Inhaberin der Professur „Öffentliches Recht und Geschlechterstudien“ an der Humboldt-Universität Berlin, folgt ihm nach. Sie ist dort seit 2003 Direktorin des Gender Kompetenz Zentrums.
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Berliner Polizeibericht
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Haftbefehle und Durchsuchungen wegen gewerbsmäßigen Abrechnungsbetrugs zum Nachteil von Krankenkassen
Gemeinsame Pressemeldung Polizei und Generalstaatsanwaltschaft Berlin, 11.11.
Im Rahmen umfangreicher Ermittlungen wegen gewerbsmäßigen Abrechnungsbetruges haben Ermittler des Landeskriminalamtes gestern und heute acht Haftbefehle vollstreckt und zehn Wohnungen durchsucht. Die Ermittlungen richten sich gegen einen Apotheker und eine Vielzahl von beschuldigten Patienten.
Der beschuldigte Apotheker steht im Verdacht, im Zeitraum zwischen 2007 und 2009 gewerbsmäßig Rezepte über hochpreisige HIV Medikationen gegenüber den Kostenträgern abgerechnet zu haben, ohne die verordneten Medikamente an die Patienten auszuhändigen. Dies erfolgte nach derzeitigem Stand der Ermittlungen nach folgendem zwischen Patienten und Apotheker verabredeten Muster: Die HIV erkrankten Patienten suchten demnach in der Regel mehrere Ärzte auf und gelangten somit an einen Rezeptumfang, der den tatsächlichen Bedarf erheblich überstieg. Den Ärzten war in der Regel die Verordnung der Fachkollegen nicht bekannt. Auf diesem Wege sollen die Beschuldigten teilweise zu Betrugszwecken einen regelrechten „Ärzte-Tourismus“ entwickelt haben, um an Rezepte zu gelangen.
Die über den medizinischen Bedarf hinaus erlangten Rezepte sollen von dem Apotheker aufgekauft und gegenüber den Krankenkassen so abgerechnet worden sein, als habe der Patient die verordneten Medikamente erhalten. Der Wert pro Verordnung lag durchschnittlich bei 2000,- Euro.
Im Zuge der Ermittlungen konnten Vermögenswerte in Höhe von derzeit über 200.000,- Euro gesichert und für das Land Berlin vereinnahmt werden, u.a. mehrere hochwertige Pkw.
Der beschuldigte Apotheker und sieben Patienten konnten festgenommen werden. Die Durchsuchungen und Festnahmen erfolgten in Berlin, Kiel und Fulda.
Die Ermittlungen dauern an, es wird davon ausgegangen, dass eine Vielzahl weiterer Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.
Derzeit wird hier von einem Schaden von ca. 10 Mio. Euro ausgegangen.
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Fahrgastangriff in der U-Bahn – Drei Täter festgenommen
Tempelhof-Schöneberg, 11.11.
Ermittler der Kriminalpolizei der Direktion 4 haben drei Männer festgenommen, die im Verdacht stehen, gemeinsam mit zwei weiteren noch flüchtigen Komplizen am 18. September 2010 in einem U-Bahnzug mehrere Fahrgäste mit Tritten und Schlägen sowie einem Messer verletzt zu haben.
Die Männer waren, wie berichtet, gegen 3 Uhr 30 im U-Bahnhof Tempelhof in den Zug der Linie 6 in Fahrtrichtung Alt-Tegel gestiegen und forderten von ihren Opfern die Herausgabe ihrer Wertgegenstände. Dabei wurden zwei junge Männer von den Tätern schwer verletzt. Auf ihrer anschließenden Flucht wurden die Räuber von einer Videokamera im U-Bahnhof Platz der Luftbrücke gefilmt.
Intensive Ermittlungen der Kriminalbeamten und Hinweise aus der Bevölkerung führten zu der Festnahme eines 25-jährigen so genannten Intensivtäters, der gestern Abend in einer sozialen Einrichtung in Zehlendorf angetroffen wurde. Er wird noch heute einem Ermittlungsrichter zum Erlass eines Haftbefehls vorgeführt.
Einen 17-Jährigen und einen 19-Jährigen nahmen die Ermittler heute Vormittag in den Wohnungen ihrer Eltern fest. Sie werden morgen dem Ermittlungsrichter mit dem Ziel eines Haftbefehls vorgeführt.
Die Ermittlungen zu den beiden Komplizen der Räuber dauern weiter an.
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Vermisste Frau tot aufgefunden
Steglitz-Zehlendorf, 10.11.
Die vermisste 57-jährige Frau aus Lichterfelde ist tot. Eine Anwohnerin fand die Vermisste heute gegen 13 Uhr 20 tot in ihrem Auto in der Neuen Kreisstraße in Wannsee und alarmierte die Polizei.
Die Frau hatte am 1. November ihre Wohnung verlassen und war nicht zurückgekehrt. Anzeichen für ein Fremdverschulden liegen nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht vor.
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Letztes Wort
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„It’s beautiful.“ („Es ist schön.“) [zu ihrem Mann Robert Browning]
Elizabeth Barrett Browning, englische Schriftstellerin, 1861