berliner abendblätter 2.00 am 18.1.

18.1.
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Mauer am Griebnitzsee steht wieder
Anrainer türmen Barrikaden auf und verhindern den Zugang zum letzten öffentlichen Uferstreifen
Potsdam – Der Konflikt um den Uferweg am Griebnitzsee ist erneut eskaliert: Zwei private Eigentümer haben Samstagmorgen den Uferstreifen an zwei weiteren Stellen verbarrikadiert. Damit ist das letzte bisher frei begehbare Stück des Weges zwischen Bahnhof Griebnitzsee und der Berliner Stadtgrenze blockiert. Die Privateigentümer ließen den Uferstreifen mit Bauzäunen aus Metall abriegeln, Bagger fuhren Holzstämme heran, die Arbeiter zu einer meterhohen Barrikade auftürmten. Damit können Spaziergänger den insgesamt knapp drei Kilometer langen ehemaligen Patrouillenweg der DDR-Grenzer gar nicht mehr nutzen. Vor anderthalb Jahren haben Seeanrainer das Ufer in Richtung Babelsberg gesperrt.
Jogger und Spaziergänger, die am Vormittag von den Sperren unterhalb der Rudolf-Breitscheid-Straße 204 und der Stubenrauchstraße 4 überrascht wurden, reagierten wütend. „Das war das einzige Stück, wo es sich noch gelohnt hat, spazieren zu gehen“, sagte ein Familienvater. Hinter Zaun und Holzwall bewachten Sicherheitsleute mit Schäferhund die Sperren. Die Bagger waren nach Augenzeugenberichten am Morgen unbeleuchtet und illegal über den öffentlichen Uferweg gerollt. „Die Mauern kehren zurück – eine Unverschämtheit“, so Anwohnerin Andrea Stein. Potsdam müsse jetzt Stege bauen, forderte sie. Ein Radfahrer schimpfte auf die Stadtpolitik: „Das habt ihr ja fein hingekriegt, Herr Jakobs!“
Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) war am Morgen mit Baudezernent Matthias Klipp (Bündnisgrüne) zum Griebnitzsee geeilt. Ausrichten konnten sie nichts: Die beiden gesperrten Uferstreifen sind Privatbesitz. Einen gültigen Bebauungsplan, der den Weg festschreibt, gibt es nicht, seit das Oberverwaltungsgericht den ersten Uferplan für unwirksam erklärt hat. Erst im Herbst will das Potsdamer Stadtparlament den neuen Plan beschließen, wonach der Uferweg samt Entschädigung für die Privatanrainer 13 Millionen Euro kosten würde. Damit sind die Absperrungen juristisch für die Stadt nicht anfechtbar.
Das weiß auch der Berliner Rechtsanwalt Christoph Partsch. Er vertritt seit Beginn des Griebnitzsee-Konflikts vor einigen Jahren viele Sperr-Anrainer. Partsch hatte vor vier Jahren zudem den jetzt blockierten Uferstreifen unterhalb der Rudolf-Breitscheid-Straße 204 – der Villa des ehemaligen Generalsekretärs der brandenburgischen CDU Thomas Klein – persönlich erworben. Die Stadt Potsdam hatte sofort vermutet, Partsch habe „die Grünfläche“ als „Sperrgrundstück“ gekauft. Der Rechtsanwalt sagte gestern, er habe den Uferstreifen inzwischen weiterveräußert. Seine Mandanten sperrten den Uferweg, weil sie „ihre Grundstücke genießen möchten“.
Offenbar geht es den Uferweg-Gegnern aber darum, vor der Entscheidung des Bundes über den Verkauf seiner 51 Mauergrundstücke am Griebnitzsee ein Exempel zu statuieren. Die 3,5 Hektar umfassenden Flächen des Bundes am Seeufer gelten als Schlüssel für einen freien Uferweg. Seit Monaten läuft ein politisches Tauziehen um deren Verkauf: Potsdam wollte die Grundstücke für 2,6 Millionen Euro direkt von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) erwerben, private See-Anrainer hatten jedoch mehr geboten. Daraufhin entschied der Bund, ein Bieterverfahren zu starten, was im Spätsommer endete. Über den Zuschlag soll der Haushaltsausschuss des Bundestags entscheiden – damit war allerdings bereits im Herbst gerechnet worden. Der Erlös fließt in den Mauerfonds für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zwecke in den neuen Bundesländern.
Potsdam hält das Bieterverfahren für rechtswidrig und will klagen. Um keine Chance auszulassen, hat die Stadt dennoch ein Gebot über drei Millionen Euro abgegeben. Privatleute sollen 3,6 Millionen Euro geboten haben. Während Potsdam an den Bund appellierte, er müsse das öffentliche Interesse berücksichtigen, hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gesagt, der Bund solle zum Höchstpreis verkaufen.
Rechtsanwalt Partsch sagte, selbst mit einem Verkauf der Bundesgrundstücke an die Stadt werde der Weg nicht öffentlich. Das zeige die aktuelle Sperre, denn der Streifen zwischen den gesperrten Privatgrundstücken gehört dem Bund. Verkaufe der Bund an die Stadt, würden Potsdam zwar Uferflächen gehören, so Partsch, aber sie wären nicht zugänglich. Zumindest nicht ohne Enteignungen. Potsdam werde vor dieser „Ultima Ratio“ aber nicht Halt machen, so Oberbürgermeister Jakobs. Sabine Schicketanz
15.01.2011 von Sabine Schicketanz
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Kosovarin stirbt nach Abschiebung
BERLIN taz Einen Monat nach ihrer Abschiebung aus Deutschland ins Kosovo ist eine 47-jährige Romni an den Folgen einer Gehirnblutung gestorben. Ihr Anwalt und die Caritas im rheinland-pfälzischen Mayen, die die Frau betreut hat, erheben nun schwere Vorwürfe gegen die Behörden: Borka T., die psychisch schwer krank und in fachärztlicher Behandlung war, hätte nicht abgeschoben werden dürfen.
T., ihr Mann und der 14-jährige Sohn, die vor elf Jahren nach Deutschland flohen, wurden am 7. Dezember 2010 von der Polizei abgeholt. Am Flughafen Düsseldorf wurde T. von einem Arzt untersucht. Dabei ging es aber nicht um die Posttraumatische Belastungsstörung und die Depression, wegen denen die Frau in Behandlung war. Untersucht wurde allein T.s Reisetauglichkeit.
Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Trier entschieden, dass T.s Krankheit kein Abschiebehindernis sei, berichtet T.s Anwalt Jens Dieckmann. Zwar glaubte das Gericht, dass T. aufgrund der Kriegserlebnisse psychisch krank sei. Doch es verließ sich auf Informationen des Auswärtigen Amts, dass T. im Kosovo von Fachärzten empfangen und weiterbehandelt würde. Die Schlussfolgerung des Gerichts: Eine Gefahr für die Gesundheit der Frau bestehe daher nicht.
Die Realität im Kosovo sah anders aus: Die Familie war auf sich selbst gestellt. Es gab weder Medikamente noch Geld für einen Arzt. Kurz nach dem Jahreswechsel brach T. zusammen und verlor das Bewusstsein. Wenig später starb sie an einer Gehirnblutung. „Die Abschiebung bedeutete den Abbruch der fachärztlich gebotenen psychiatrischen Behandlung“, sagt Anwalt Dieckmann. Man wisse zwar nicht, was die Gehirnblutung ausgelöst habe, erklärt Markus Göpfert, Leiter des Caritas-Fachdienstes Migration. „Aber möglicherweise gibt es einen Zusammenhang.“ Göpfert meint, vor der Abschiebung hätte es eine „ordentliche Untersuchung“ gegeben müssen. Die liege „im Ermessen der örtlichen Ausländerbehörde“.
Göpfert und Diekmann kritisieren auch das Mainzer Innenministerium. Dieses habe erst am 23. Dezember und damit später als andere Länder einen Abschiebestopp für solche Familien verhängt, die unter die jüngst von der Innenministerkonferenz beschlossene Bleiberechtsregelung fallen könnten. Wäre dies früher geschehen, hätten die T.s davon vermutlich profitiert. Sabine am Orde, 13.1.
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Berliner Polizeibericht
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Kindesvernachlässigung in Wedding
Mitte, 17.1.
Zu einem Polizei- und Feuerwehreinsatz kam es am vergangenen Samstag in Wedding. Eine 28–jährige Mutter hatte sich gegen 13 Uhr zu einem Mittagsschlaf hingelegt. Währenddessen versuchte ihr vierjähriger Sohn, ein Mittagessen zu kochen. Dabei gerieten Herd und Ofen in Brand. Das Feuer konnte von der alleinerziehenden Mutter gelöscht werden. Die Beamten fanden das Kinder- und zugleich Schlafzimmer stark verdreckt und verwahrlost vor. Auf dem Fußboden befanden sich wahllos auf einen Haufen geworfene Kleidungsstücke und Spielzeug. Dazwischen befanden sich Essensreste, Fäkalien und benutzte Windeln. Der Junge und seine ebenfalls in der Wohnung anwesende zweijährige Schwester wurden dem Kindernotdienst übergeben.
Das eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht wird bei dem zuständigen Fachkommissariat des Landeskriminalamts bearbeitet.
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Letztes Wort
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„Soy inocente! Viva la Escuela Moderna!“ („Ich bin unschuldig. Lang lebe die moderne Schule!“) [zu seinen Schülern; hingerichtet]
Francisco Ferrer, spanischer Pädagoge, 1909