23.1.
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Gegen Volker Jung
Nicht auf die Insel Paros
Deutschland, nicht Griechenland: Der frühere Siemens-Vorstand Volker Jung wird nicht nach Athen ausgeliefert. Er bummelt statt dessen durch Berlin.
Am Freitag war Volker Jung in Berlin unterwegs. Der ehemalige Siemens-Vorstand, der einst zu den wichtigsten Managern hierzulande zählte, schaute sich die Hauptstadt an und besuchte dort einige Ausstellungen. Der 71-jährige Rentner hält sich mit seiner Frau lieber im kalten Deutschland auf, anstatt ins frühlingshafte Griechenland zu reisen, das er einst als seine zweite Heimat bezeichnet hat. Auf der Ägäis-Insel Paros besitzt das Ehepaar ein Haus. Für andere Leute wäre die Reise ans milde Mittelmeer ein Vergnügen, für den alten Herrn aus dem Münchner Vorort Grünwald käme das eher einen Horror-Trip gleich. Die griechische Justiz würde Jung nämlich wegen des Schmiergeldskandals bei Siemens ins Gefängnis stecken und hat deshalb versucht, seiner mit einem europäischen Haftbefehl habhaft zu werden. Doch daraus wird nichts.
Das Oberlandesgericht und die Generalstaatsanwaltschaft in München haben einen Auslieferungsantrag abgelehnt. Der frühere Siemens-Vorstand, der auch Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie war und den Aufsichtsräten führender Konzerne angehörte, wird nicht ins Flugzeug gesetzt und nach Athen überstellt. Vor einem Vierteljahr war Jung mit seiner Frau aus Griechen geflohen, nachdem die dortigen Behörden ihn nach einer Zeugenaussage im Juni 2009 im Lande festgehalten und ein Ausreiseverbot verhängt hatten. Siemens hatte früher in Athen fleißig geschmiert, um Aufträge von Staatsfirmen zu bekommen. Jung sei daran beteiligt gewesen, glauben die griechischen Behörden. Sie haben aber keine Beweise und ignorieren hartnäckig, dass die Münchner Staatsanwaltschaft sagt, gegen den Ex-Vorstand liege gar nichts vor.
Stattdessen beruft sich die Athener Justiz darauf, dass Jung mal Verwaltungsratschef von Siemens in Griechenland war und geholfen habe, mit Bestechung einen Milliardenauftrag der nationalen Telefongesellschaft OTE zu bekommen. So steht es im Haftbefehl. Den hat die Münchner Justiz aber rasch verworfen, aus formalen Gründen. Jung ging bereits 2003 in Rente, nach deutschem Recht wären solche Taten mittlerweile verjährt. Allein schon deshalb wird nicht ausgeliefert. „Das ist für uns erledigt“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Alfons Obermeier. Die Griechen können sich weitere Anträge also sparen.
Nun hält man sich in Athen an die eigenen Leute. Ein Untersuchungsausschuss des Parlaments kam zu dem Ergebnis, Ex-Ministerpräsident Kostas Simitis und etliche Minister seiner sozialistischen Partei Pasok sowie mehrere Ex-Minister der konservativen Nea Dimokratia seien für den Skandal politisch verantwortlich. Jetzt wird beraten, gegen wen wie vorgegangen werden soll. Jung schaut sich das lieber aus der Ferne an.
SZ, 21.01.2011, Klaus Ott
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Gegen Thomas Ganswindt
Kurzer Auftakt – langer Prozess
Nach 14 Minuten wurde das Verfahren gegen den Ex-Siemens-Vorstand Ganswindt ausgesetzt. Der Verteidiger will mehr Richter.
München – 8.30 Uhr, vor dem Verhandlungssaal B 175 im Münchner Landgericht haben sich rund 50 Menschen versammelt. Es sind Kameraleute, Fotografen, Journalisten, interessierte Bürger. Ganz vorn an der Tür steht der Angeklagte selbst: Thomas Ganswindt, ehemaliges Mitglied des Zentralvorstands von Siemens. Sein Kopfhaar ist kürzer geschoren als der Dreitagebart.
Ganswindt ist tief gefallen. Ende 2006, als die Dimension des Korruptionsskandals sich immer klarer zeigte, saß der heute 50-Jährige schon einmal für zehn Tage in Haft. Einst war er Top-Manager bei Siemens, jetzt gibt er als Beruf „selbstständiger Berater“ an. Und doch schleicht er nicht wie andere Angeklagte möglichst spät und unauffällig in den Gerichtssaal.
Stattdessen steht er vorn im Gedränge, als wolle er sich den besten Platz im Saal erkämpfen. „Ich gebe jetzt keinen Kommentar ab“, sagt er mit sicherer Stimme. Die Öffentlichkeit scheut er nicht, der Mann, der einst als Nachfolger des damaligen Siemens-Chefs Heinrich von Pierer gehandelt wurde. Er stellt sich den Fotografen, schaut gerade, offen und selbstbewusst in die Kameras.
Dann folgt ein unerwartet kurzer Prozesstag. Um neun Uhr beginnt die Verhandlung, 14 Minuten später ist sie schon wieder beendet. Recht enttäuscht verlassen die teils von weit her angereisten Beobachter den viel zu kleinen Gerichtssaal, in den sie sich zuvor mühevoll hineingezwängt hatten. Richterin Jutta Zeilinger von der Wirtschaftsstrafkammer unternimmt erst gar keinen Versuch, sich der Kritik von Ganswindts Verteidiger Michael Rosenthal entgegenzustellen. Bereits in den ersten Minuten bemängelt Rosenthal – in seiner Art jovial, in der Sache hart –, dass für das komplexe Verfahren nur zwei und nicht drei Berufsrichter eingesetzt wurden. Juristisch heißt das „Besetzungsrüge“. Würde sich das Gericht darüber hinwegsetzen, könnte dies ein Grund für eine spätere Revision sein. Also unterbricht die Richterin die Verhandlung – bis kommenden Dienstag.
Ganswindt wird im Rahmen der Korruptionsaffäre Steuerhinterziehung und die vorsätzliche Verletzung seiner Aufsichtspflichten vorgeworfen. Siemens hatte bis 2006 Geschäftspartner mit 1,3 Milliarden Euro aus schwarzen Kassen geschmiert. Ganswindt ist bisher der ranghöchste ehemalige Siemens-Manager, dem in der Korruptionsaffäre der Prozess gemacht wird. Im früheren Zentralvorstand war Ganswindt für den Telekommunikationsbereich zuständig. Er habe schon Ende 2003 von den Korruptionspraktiken gewusst oder es zumindest wissen müssen, wirft ihm die Sprecherin der Münchner Staatsanwaltschaft, Barbara Stockinger, vor. Die Zahlungen aus schwarzen Kassen bewertet die Anklage als Steuerhinterziehung, auf die bis zu fünf Jahren Gefängnis stehen. Für die Aufsichtspflichtverletzung sind eine Million Euro Strafe möglich. Zudem verlangt Siemens selbst von Ganswindt fünf Millionen Euro Schadenersatz.
Wie die Verteidigungstaktik aussehen wird, ist schon jetzt erkennbar: Anwalt Michael Rosenthal moniert, dass in den ganzen Unterlagen über den Bestechungssumpf im Ausland Nachweise fehlten, „was überhaupt gemacht wurde“. Welche Gegenleistungen es von Zahlungsempfängern gegeben habe, „ist nicht bekannt“. In Nigeria etwa, wo Siemens zahlreiche Geschäfte gemacht hatte, sei es üblich, dass die Partner nicht vor, sondern erst nach Abwicklung der Projekte Geld bekämen. Das sei dann aber strafrechtlich keine Bestechung mehr, meint der Anwalt.
So kurz der Verfahrensauftakt war, so wenig ist mit einem raschen Prozess zu rechnen. Denn die Verteidigung dürfte jede Einzelheit zerpflücken wollen. Ganswindt strebt nicht irgendeinen strafmindernden Deal an – er will einen Freispruch. Es werde zu einer „aufwendigen und kontroversen Beweisaufnahme“ kommen, kündigte Rosenthal an.
In den nun noch angesetzten acht Verhandlungstagen wird das Gericht kaum fertig werden. Um nicht weitere Zeit zu verlieren, kann man ziemlich sicher sein, dass am Dienstag ohne große Kommentare ein dritter Berufsrichter auf der Bank Platz nehmen wird und die Kammer zügig mit der Arbeit beginnt. Während dann an diesem Tag die Siemens-Aktionäre auf der Hauptversammlung in der Münchner Olympiahalle die Reden der gegenwärtigen Vorstände anhören, wird Ex-Vorstand Ganswindt im Landgericht sitzen und lange schweigen. Der Staatsanwalt verliest dann die Anklageschrift. Die ist 39 Seiten lang.
tsp., 21.01.2011 11:11 Uhr, Patrick Guyton
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Letztes Wort
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„Vorsicht, bitte!“ [bevor er aus dem Fenster sprang]
Egon Friedell, österreichischer Schriftsteller, 1938
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