berliner abendblätter 2.00 am 25.2.

25.2.
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Guttenbergs Woche
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Wenn der Verteidigungsminister in Deutschland vom Volk gewählt würde, dieser hätte die meisten Stimmen. Das Faszinosum Guttenberg hält die Nation in Bann. Es ist, als ob es vor ihm gar keinen gegeben hätte: keinen Minister Jung, Struck, Scharping etc pp. Ich hatte vor Jahren Gelegenheit, das Talent in der Deutschen Gesellschaft Für Auswärtige Politik zu erleben, als Guttenberg über Kulmbach hinaus noch nicht so namhaft war und im Schatten des Union-Politikers Eckart von Klaeden stand, dem einst eine große Karriere offen zu sein schien. An das Thema des Vortrags kann ich mich nicht erinnern, es war wahrscheinlich etwas Transatlantisches. Was ich daraus mitnahm, war die Gewissheit, dass dieser Mann sehr sprachgewandt ist. Ich weiß bis heute nicht, ob er darüber hinaus andere Vorzüge hat Aber Politik ist Kommunikation und da trägt Rhetorik und das Polyglotte weit. Dass seine Verhaltenspolitik der letzten Tage ihm eher Sympathie im Volk gebracht haben soll, ist ein schillerndes Rätsel im Dreieck von Medieninteresse, Umfrage-Hokuspokus und der vox populi, Es scheint das Gesetz zu gelten: Schlagzeilen sind immer gut für den, der durch sie vorgeführt wird. Etwas Positives bleibt immer hängen. Eine Achse bilden bild und der Baron: Er will dort von März an in einer breit angelegten Medienkampagne für den Dienst in der Bundeswehr als der neuen Berufsarmee werben. Bevor mit anderen Medien gesprochen wurde, hat er sich schon mit dem Kleeblatt „Bild“, „Bild am Sonntag“ und „Bild.de“ auf eine große Kampagne ab April des Jahres geeinigt.
Am morgigen Samstag um halb eins geht eine Demonstration gegen ihn vom Potsdamer Platz zum Ministeriumssitz. Es heißt, man solle einen alten Schuh dazu mitbringen.

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Die Entscheidung ist gefallen. Quasi im standrechtlichen Verfahren hat die Universität Bayreuth Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg den Doktorhut vom Kopf geschnippst. Der zentrale Satz aus der mündlichen Begründung in der Pressekonferenz vom Mittwoch lautet, „dass G. gegen seine wissenschaftliche Pflichten im erheblichen Maße verstoßen hat.“ Nicht geklärt worden ist bis dato, ob ein Verstoß vorliegt gegen die Bedingung, dass eine Dissertation ohne fremde Hilfe anzufertigen ist. Wenn sich die Universität um diese Untersuchung drückt, macht sie sich selbst angreifbar. Der Doktorvater, Peter Häberle, muss sich jetzt erklären. Wie kann er einer solchen Arbeit das „summa cum laude“ anheften? Nicht drücken um eine genaue Untersuchung kann sich der Bundestag, denn sein Wissenschaftlicher Dienst ist beim Schreiben der Arbeit stark in Anspruch genommen worden. Guttenberg war bei der Erstellung der Promotionsarbeit als ¾-Jurist schon Mitglied des Bundestages. Fakt ist, dass er der erfolgreichste Wahlkreisgewinner seiner Zeit ist (Kulmbach 2009, 68,1 % der Erststimmen). Das Thema der Arbeit, Verfassungsgeschichte in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, ist wohl auch in Reden des Politikers Guttenberg eingeflossen.
Ein Parlamentarier darf seine Bekundungen mit Hilfe des Wissenschaftlichen Dienstes bereichern. Als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses hatte er alles Recht, davon Gebrauch zu machen. In eine persönliche Wissenschaftsarbeit darf dann die Zuarbeit nicht fließen. Laut FAZ (23.2.) kennt der „Leitfaden“ für den Dienst im Bundestag „keine Sanktion, nur die Ablehnung eines Auftrags“. Was die Veröffentlichung betrifft, sagt der Leitfaden, der Bundestag behalte „sich sämtliche Rechte an den Arbeiten der Wissenschaftliche Dienste vor“. Und weiter: „Veröffentlichung und Verbreitung bedürfen grundsätzlich der Zustimmung der Abteilungsleitung.“ Lag sie vor? Aber kann sie eingefordert worden sein? Der Delinquent hätte seinen Verstoß gegen die Richtlinien zur Erstellung einer Doktorarbeit an einer dritten Stelle bekannt gemacht. Der mit der Entscheidung beauftragte Abteilungsleiter hätte sich der Mitwisserschaft in der causa schuldig gemacht. Der Ältestenrat des Bundestags hat sich der Sache angenommen. Auch hier ist keine Sanktion vorgesehen.
Also bleibt dieser Fall an der Öffentlichkeit hängen. Foro externo, in den Medien und auf den Marktplätzen, findet die Verhandlung statt und werden die Urteile verlautbart.
Aus der Blumigkeit seines Redens ist am Mittwoch ein Wort aus dem Mund des Ministers bei seiner Verteidigung aufgefallen. Die Sorgfalt beim Schreiben seiner Doktorarbeit sei ihm als „jungem Familienvater“ schwergefallen. Das ist Schanzarbeit mit aktiver Heterosexualität. Mit Verlaub, mit solchen Hinweisen haben sich junge Männer zum Aufseher in den Konzentrationslagern beworben. Die Herkulesleistung der Abschaffung der Wehrpflicht steht nochmals im anderen Licht. Das Signal der Zukunft lautet: auch für verkrachte Existenzen gibt es einen Ort der Bewährung. Im Zivilleben gescheitert kann die gewissenhafte Pflichtausübung an der Fahne die Weste reinwaschen. Guttenberg habe sich seinerzeit gegen den dreimonatigen Fahnenjunker-Lehrgang für Offiziersanwärter entschieden und statt dessen einen sechs Monate dauernden Unteroffizierslehrgang durchlaufen. Er wäre ein Vorbild, wenn er seinen Dienstgrad „Stabsunteroffizier der Reserve“ aktivierte und ins Glied ginge.
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Das Wissenschaftsplagiat: Vom Versagen eines Systems
Wissenschaftsplagiate kommen häufig vor. Und werden weithin totgeschwiegen – von den Verlagen, von den Universitäten und Wissenschaftsinstitutionen. Nur selten schafft es ein Fall wie Schwintowski (siehe „Plagiat-Professoren: Der Kavalier liest und schweigt“ von Hermann Horstkotte am 12.5.2007 hier: http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,482278,00.html) ins öffentliche Feuilleton. Der Kollateralschaden indes wiegt schwer. Bestohlene Autoren erhalten nicht die gebotene Reputation. Das Ghostwriting der Assistenten für ihre Professoren behindert die Assistenten und schafft ein Klima unwissenschaftlicher Anmutung. Netzveröffentlichungen befördern und etablieren das Plagiat – ja heißen es mit der creative-commons-Lizenz des „remix“ nachgerade willkommen. Elektronische Abwehr erfolgt nicht.
Volker Rieble, Rechtsprofessor in München, hat dem Phänomen ein Buch gewidmet. Das Buch deckt im ersten Teil eine ganze Serie von Plagiaten auf und präsentiert einen kriminellen Serienplagiator. Im zweiten Teil fragt der Autor nach den Sanktions- und Abwehrmöglichkeiten und untersucht das institutionelle Versagen des Wissenschaftsbetriebes. Die einzige effektive Plagiatwehr besteht in der öffentlichen Diskussion, weil nur dies den Plagiator ernstlich bedroht.
Das Buch kann zum Preis von € 14,80 direkt beim Verlag Klostermann bestellt werden.
Erste Rezensionen und Reaktionen:
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Frei wandern die Zitate durch die Welt
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Anschreiben gegen Abschreiber
Die Zeit: Wenn der Professor abschreibt
Bildzeitung: Hamburger Uni-Professor ein Hochstapler?
Frankfurter Rundschau: „Das Wissenschaftsplagiat“ – Raubfische im Wissensmeer
Hilflose Wissenschaft? Leidiges Thema Plagiate: Volker Rieble schreibt über das Versagen der Wissenschaftsmoral
Tagesspiegel: Professoren mit Plagiat
Frankfurter Rundschau: Juristen unter sich
Deutschlandradio Kultur: Mit Betrug zum Doktortitel
Philosophischer Literaturanzeiger: Das Wissenschaftsplagiat
Quelle: http://www.wissenschaftsplagiat.de/
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Letztes Wort
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(„Ich habe Gott und die Menschen beleidigt, da meine Werke nicht so gut geworden sind, wie sie sein könnten.“); andere Quelle:„Ich dachte immer, ein Leben lang leben zu lernen; tatsächlich aber lernen wir zu sterben.“)
Leonardo da Vinci, italienischer Maler und Bildhauer, 1519