26.11.
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S für Stuttgart oder S für Sozialismus?
Heute rotiert die 7. Schlichtungsrunde zum Bahnprojekt Stuttgart 21. Es geht um die Kosten. Drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften legen einen Bericht vor.
Im Vorfeld kam die Frage nach schweren Fehlern in der „Betrieblichen Aufgabenstellung zur Umsetzung der Konzeption Netz 21“ von 2002 auf.
Inflation oder teurer gewordene Tunnels? Die Umstellung von DM auf Euro soll hinter der Kostenexplosion stecken. Ralf Klassen geht den Spuren nach.
stern. Das wichtigste Papier für S21 bezifferte schon 2002 die Kosten auf 4,2 Milliarden Euro. Die Bahn sagt: Kleiner Fehler, gemeint seien D-Mark. Doch im Papier steht alles in Euro. Ist etwa alles falsch?
Kostentabelle der Bahn zu Stuttgart 21 im BAST-Bericht von 2002: Die Angabe Euro ist klar zu erkennen
Ein stern.de-Bericht zum umstrittenen Projekt Stuttgart 21 sorgt für Wirbel. stern.de hat am Mittwoch früh über ein internes Bahn-Papier berichtet, das auf den sperrigen Namen „Betriebliche Aufgabenstellung zur Umsetzung der Konzeption Netz 21“ hört – kurz „BAST“. Das Papier ist die Bibel für die Planer, Entwickler, Ingenieure von Stuttgart 21. Es stammt aus dem Jahr 2002, ist aber die gültige Grundlage aller Arbeiten für S21. Darin, so berichtete es stern.de, veranschlagt die Bahn die Kosten von Stuttgart 21 mit 4,2 Milliarden Euro.
Diese Zahl ist brisant, denn sie bedeutete: Die Bahn ging schon 2002 von Kosten aus, die weit höher lagen als alle seither genannten. 2003 war offiziell von 2,5 Milliarden Euro die Rede, im Juli sprach Bahnchef Rüdiger Grube von 4,1 Milliarden Euro.
Die Antwort der Bahn kam prompt kurz nach dem Mittag. Die Überschrift: „Bericht von stern.de über angeblich geheim gehaltene Kostensteigerungen unzutreffend.“ Die Kernaussage der Bahn: „In der vom stern zitierten BAST (Betriebliche Aufgabenstellung) aus dem Jahr 2002 ist in einer Tabelle über die jährlichen Kosten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 die Gesamtsumme von 4,2 Milliarden DM fälschlicherweise in „Euro“ angegeben worden. Bei der Verwechslung der Währungsangabe handelt es sich um einen redaktionellen Fehler im Zusammenhang mit der Währungsumstellung von DM auf Euro im Jahr 2002.“ Süffisant endet die Mitteilung: Die „vermeintliche Enthüllung“ sei nichts als „die Entdeckung eines Schreibfehlers“.
4,2 Milliarden DM wären gut 2,1 Milliarden Euro – und das würde sich in die offiziellen Darstellungen fügen. Das Projekt wird zwar von Jahr zu Jahr teurer, aber damals lag es offiziell eben nur bei etwas mehr als zwei Milliarden Euro. Die Bahn-Mitteilung wirkte: Prompt zog die Agentur dapd ihre Meldung zurück. Die Bahn hatte die Deutungshoheit zurück.
Nur ein kleiner Schreibfehler in einer Tabelle? Bloß ein einziges Mal DM mit Euro verwechselt?
Schauen wir doch mal nach in der BAST. Die BAST besteht aus Hunderten Seiten. Überall, in allen der vielen Tabellen, die das Werk enthält, sind die Angaben in Euro. Das Euro-Zeichen steht fast auf jeder Seite. Das Rechenwerk, aus dem sich die Gesamtsumme von 4,2 Milliarden ergibt, besteht aus 20 Seiten. Auf diesen 20 Seiten ist alles in Euro dargestellt. Das DM-Zeichen wird hier nirgendwo verwendet. Nirgendwo.
Nicht nur kompliziert, sondern auch peinlich
Die Gesamtsumme ergibt sich aus der Summe der über 20 Seiten aufgelisteten Einzelposten, die für das „Paket 3 – Stuttgart 21“ für die Jahre 2002 – 2010 aufgestellt wurden. Diese wiederum sind auch in einer Tabelle zusammengefasst. Immer in Euro. Addiert man die Einzelpositionen (z.B. 293 Millionen für 2005 und 457,3 Millionen für 2006), die laut BAST samt und sonders Euro-Angaben sind, so ergibt sich 4,2 Milliarden – und was sonst als Euro? Euro + Euro = Euro.
Doch „Nein“ – sagt die Bahn. Denn, so hatten die Fachleute des Konzerns in diversen Sitzungen am Nachmittag herausgefunden, auch diese Euro-Angaben müssten eigentlich DM-Angaben sein. Während man nämlich bei der Auflistung von „Paket 1“ und „Paket 2“ korrekterweise alles bereits in Euro umgerechnet hätte, seien die Angaben für „Paket 3 – Stuttgart 21“ in DM aufgelistet worden, allerdings als Euro verbucht.
Und nun wird es nicht nur kompliziert, sondern auch peinlich – denn dieses würde, wenn die Bahn-Version stimmt, nichts anders bedeuten, als dass das gesamte Zahlenwerk der BAST mit einem grundlegenden Fehler durchzogen ist, der bei Beiträgen in dreistelliger Millionenhöhe Euro mit DM verwechselt.
Aber gibt es das: so fundamentale Fehler in der Bibel?
Zumindest an einer Stelle hat Bahnchef Grube im Sommer diesen Jahres selbst eine Zahl genannt, die man in der BAST findet. Ausgerechnet genau in der Tabelle, die nun angeblich Euro und DM verwechseln soll. Grube bezifferte im Juli die Kosten für die Neubaustrecke nach Ulm mit 2,9 Milliarden Euro. Euro! In der Tabelle in der BAST steht, dass die Neubaustrecke nach Ulm 2,887 Milliarden Euro kostet. Euro!
Aber halt, auch diese Euro – sagt die Bahn – sind ja eigentlich Mark. Denn der Umrechenfehler würde auch für die Berechnung der Neubaustrecke gelten. Und dass der DM-Preis von damals, 2,89 Miliarden, jetzt mehr oder weniger genau dem Euro-Preis von 2010 entspreche, sei halt Folge der erhöhten Kosten und reiner Zufall.
Fehler und Umrechnungsmissverständnisse in Milliardenhöhe, acht Jahre lang unentdeckt im wichtigsten Planungsinstrument des größten Bauprojektes der Bahn AG. Darauf muss man erst mal kommen.
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Was Seibert spricht
Korrekturen des Regierungssprechers
Verlautbarung in dieser Woche:
„Die Bundesregierung weiß, dass deutsche Banken – allen zuvorderst, glaube ich, die Deutsche Bank – im Rahmen der irischen Schuldenproblematik erheblich belastet sind.“
Nachtrag:
„Eine besondere Erwähnung der Deutschen Bank oder anderer Institute in diesem Zusammenhang in der heutigen Regierungs-Pressekonferenz war nicht beabsichtigt.“
Ergänzung zum Nachtrag:
„Im Zusammenhang mit dem irischen Antrag auf Hilfe aus dem Euro-Rettungsschirm hat die Deutsche Bank der Bundesregierung am Nachmittag mitgeteilt, dass ihr gesamtes Risiko gegenüber dem Staat Irland und irischen Banken per Ende Oktober 2010 netto weniger als 400 Millionen Euro betragen habe und die Deutsche Bank damit von den Schuldenproblemen Irlands nicht in herausgehobener Weise betroffen sei.“
Seibert vor einem Monat auf die Frage, ob es bei der Diskussion des deutsch-französischen Kompromisses zur Reform des Stabilitätspaktes im Kabinett von seiten der FDP-Mimister Unbehagen ausgedrückt worden sei: „Ich hatte Worte, Gestik und Mimik gut im Blick, und da gab es nichts. Das Kabinett steht in dieser Sache in einer Linie.“ Westerwelle hatte jedoch den Verzicht der Kanzlerin auf automatische Sanktionen angesprochen, Seibert wurde zum Außenminister zitiert.
Als es kurz zuvor um die Übernahme von Hochtief durch die spanische ACS (Actividades de Construcción y Servicios) ging, sagte Seibert:
„Hochtief ist ein wichtiges Unternehmen der deutschen Bauindustrie. Es ist, wenn Sie so wollen, ein Aushängeschild deutscher Technologiekompetenz. Schon deshaslb ist die Bundesregierung und ist das Kanzleramt daran interessiert, dass die industriellen Strukturen von Hochtief und auch der Sitz von Hochtief in Essen bleiben.“
Die Interpretation lag nahe, dass die Bundesregierung Handlungsbedarf sehe. Eine Woche später kam die Klarstellung: die Übernahme würde nicht mit Mitteln der Bundesregierung verhindert werden.
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Letztes Wort
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„Gran Dio e testimoni tutti della mia morte: son vissuto filosofo e muoio cristiano.“ („Großer Gott und Zeugen meines Todes: Ich habe als Philosoph gelebt und sterbe als Christ.“)
Casanova, libertin de mœurs, 1798
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