5.2.
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Wenn man mit der S-Bahn über Lichtenberg in die Innenstadt Berlins fährt taucht auf der rechten Seite eine Hausbrandmauer auf mit den drei Worten „Raum für Freiraum“. Um den geht es seit über 20 Jahren unter anderem in der Liebigstr.14. Die Räumung am Mittwoch dieser Woche hat überraschenderweise bundesweite Proteste nach sich gezogen. Bundesweit waren allerdings auch die Herkunftsorte der eingesetzten Polizeikräfte. Vom Schreibenden allein wurden auf der Warschauer Straße niedersächsische Polizisten wahrgenommen. Allein in Berlin aber hat der Unwille gegen die Exekution übrigens zweifelhaften Rechts Sachschäden gezeitigt, die größere Ausmaße zeigen als die eines ersten Mai. Der scheidende Polizeipräsident bilanzierte vorgestern in einer Pressekonferenz.
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Berliner Polizeibericht
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Bilanz der Einsätze im Zusammenhang mit der Räumung Liebigstraße 14, 3.2.
Polizeipräsident Dieter Glietsch in der Pressekonferenz zu den Einsatzmaßnahmen der Berliner Polizei im Zusammenhang mit der Räumung des Hauses Liebigstraße 14 am 02. Februar 2011:
„Der Berliner Polizei hat sich gestern eine außerordentlich komplexe und schwierige Aufgabe gestellt.
Sie war rechtlich verpflichtet, Amtshilfe für den Gerichtsvollzieher bei der Räumung des Hauses Liebigstraße 14 zu leisten, eines „alternativen Wohnprojekts“ mit hohem Symbolwert in der linksextremen Szene. Der Anlass war geeignet, das gewaltbereite Potential dieser Szene zu mobilisieren, was bereits vor dem Einsatz durch eine Vielzahl von Straftaten sowie die öffentliche Androhung massiven Widerstands und gewalttätiger Protestaktionen deutlich wurde. Sie sollten dezentral, vielfältig, phantasievoll durchgeführt werden, wie es in diversen Verlautbarungen hieß.
Dass die Drohungen ernst gemeint waren, hat sich nicht erst am Samstag, den 29. Januar gezeigt, als die Auseinandersetzung mit der Polizei offenkundig gesucht und Polizeikräfte gezielt und massiv angegriffen wurden. Die Folge waren 40 verletzte Polizeibeamtinnen und -beamte.
Wir wussten also, dass wir es am Räumungstag mit einer sich möglicherweise weiter verstärkenden gewaltbereiten Protestszene im Rahmen angemeldeter oder nicht angemeldeter Aktionen zu tun haben würden.
Obwohl dies alles bekannt war, sind wir gestern immer wieder gefragt worden, warum man denn für die Räumung eines einzigen Hauses 2.500 Einsatzkräfte brauche und ob das denn noch verhältnismäßig sei.
Deshalb will ich hier noch einmal betonen:
Es ging nicht nur um die Räumung eines Hauses, sondern wir hatten uns vorzubereiten auf all das, was ich gerade beschrieben habe, also auf Maßnahmen gegen Gewalt, verteilt über die ganze Stadt und über Tag und Nacht, mehr als 24 Stunden.
Das haben wir sehr gründlich getan. Dazu braucht man ein ausgereiftes Konzept, erfahrene Führungskräfte und professionelle Einsatzkräfte in angemessener Stärke. Dies zusammengenommen ist die Voraussetzung für die Gewährleistung von Verhältnismäßigkeit. Sie misst sich nicht an der Zahl der eingesetzten Kräfte, sondern an der Art und Weise des polizeilichen Vorgehens, an der Schwere des Eingriffs.
Verhältnismäßiges und differenziertes Vorgehen bei komplexen Problemlagen, wie wir sie gestern hatten, ist nur möglich mit starken Kräften. Die Gefahr, dass zu hart, zu undifferenziert und mit den falschen Mitteln eingeschritten wird, steigt bei unzureichender Kräfteausstattung. Genau das galt es zu vermeiden, und das ist uns gestern bei der Bewältigung unserer Aufgaben gelungen. Dafür bedanke ich mich bei Herrn Brenner, dem Polizeiführer des Einsatzes, und bei allen eingesetzten Kräften meiner Behörde und der uns unterstützenden 13 Einheiten anderer Bundesländer und der Bundespolizei. Sie haben alle gemeinsam eine hervorragende Arbeit geleistet.
Für zwei Dinge möchte ich Sie ausdrücklich um Verständnis bitten, bevor ich auf Einzelheiten eingehe.
Erstens: Wir konnten gestern Vormittag in der Liebigstraße die Medienvertreter nicht so dicht an den Ort des Geschehens führen, wie sie es gerne gehabt hätten. Wir mussten nicht nur vermeiden, dass die polizeilichen Maßnahmen gestört wurden, sondern wir mussten auch dafür sorgen, dass niemand durch Aktivitäten aus dem besetzten Haus oder anderen Gebäuden gefährdet werden konnte. Wenn Sie sich dadurch stärker behindert fühlten, als dies aus Ihrer Sicht nötig war, bedauere ich dies ausdrücklich. Es war nicht unsere Absicht.
Zweitens: Wir haben uns im Vorfeld des Einsatzes sehr mit Informationen über unsere Lagebewertung und unsere Vorbereitung zurückgehalten. Meine Mitarbeiter und ich sind davon überzeugt, dass es die polizeiliche Aufgabenerfüllung erschweren würde, wenn wir durch detaillierte Angaben über unsere Erkenntnisse, unsere Lagebeurteilung, unsere Erwartungen oder Befürchtungen und unsere Einsatzplanungen nicht nur die Öffentlichkeit, sondern damit auch die gewaltbereite linksextremistische Szene informieren würden.
Über den Verlauf der Räumung des Hauses Liebigstraße 14 sind Sie gestern umfassend informiert worden. Sie wissen, dass das Haus massiv verbarrikadiert war und sich die Einsatzkräfte über vier Stunden bis zu der Wohnung vorarbeiten mussten, in der dann insgesamt neun Personen angetroffen und wegen Hausfriedensbruchs, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung festgenommen wurden. Bei ihnen handelt es sich um drei Italiener, einen Spanier, eine Französin und vier Deutsche (darunter zwei Frauen). Drei der vier Deutschen und ein Italiener sind bereits einschlägig polizeilich bekannt.
Während der Räumungsmaßnahmen versuchten Gruppen von bis zu 500 zum Teil vermummten Personen, im Rahmen von Störaktionen und Aufzügen im Bereich Frankfurter Allee die Polizei durch das Verbringen von Gegenständen auf die Fahrbahn und durch Steinwürfe in Auseinandersetzungen zu verwickeln. In diesem Zusammenhang wurden 30 Personen festgenommen und neun Polizeibeamte verletzt.
Zwei angemeldete Aufzüge in Prenzlauer Berg und Neukölln verliefen mit 50 bzw. 500 Teilnehmern störungsfrei.
Am Abend versammelten sich dann ca. 1.200 Personen am Boxhagener Platz in Friedrichshain, um an einem nicht angemeldeten, aber öffentlich angekündigten Aufzug teilzunehmen. Nachdem sich vor Ort jemand als Versammlungsleiter gemeldet und angekündigt hatte, man wolle in Richtung Rigaer Straße/Liebigstraße ziehen, wurde ein Aufzug über Grünberger Straße, Simon-Dach-Straße und Revaler Straße zur Warschauer Straße gestattet, der um 19 Uhr 45 begann und bereits um 20 Uhr 15 vorzeitig vom Versammlungsleiter in Höhe der Kopernikusstraße für beendet erklärt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Aufzug ca. 1.500 Teilnehmer.
Was sich danach aus dieser Menge heraus entwickelte, kann man als politisch motivierten Vandalismus bezeichnen. Gruppen von Gewalttätern in unterschiedlicher Stärke – zwischen 20 und 200 – zogen in blinder Zerstörungswut durch Friedrichshain, während eine Gruppe von ca. 600 Personen durch die Polizei daran gehindert wurde, sich Richtung Kreuzberg zu bewegen.
In den folgenden Stunden wurden teils wahllos, teils gezielt Sachbeschädigungen an Objekten unterschiedlichster Art begangen, darunter ein Polizeidienstgebäude, Bankfilialen, Supermärkte, die O2World, der Liegenschaftsfond, der Ostbahnhof, ein Autohaus, zwei Kaufhäuser, Modegeschäfte, Bürogebäude, Straßenlaternen, die BSR, ein BVG-Bus, Autos, eine Telefonzelle und ein Stromverteilerkasten. Die Tatorte liegen ganz überwiegend in Friedrichshain. Dank des verfügbaren großen Kräfteaufgebots ist es gelungen, durch Sperrmaßnahmen eine Ausweitung der Gewalttaten auf andere Stadtteile weitgehend zu verhindern und zahlreiche Straftäter festzunehmen.
Die Zahl der Festnahmen des gestrigen Tages und der Nacht beläuft sich auf insgesamt 82 Personen. Die Bearbeitung ist noch nicht abgeschlossen, deshalb sind unsere Erkenntnisse dazu noch nicht vollständig. Zurzeit stellen sie sich wie folgt dar:
Unter den Festgenommenen befinden sich 65 Männer und 17 Frauen. 68 der Tatverdächtigen sind deutscher Herkunft. 54 leben in Berlin, 15 Personen stammen aus dem übrigen Bundesgebiet. Derzeit wird beabsichtigt, 22 Personen zwecks Herbeiführung eines Haftbefehls vorzuführen.
Insgesamt verfügen 35 der Festgenommenen über kriminalpolizeiliche Vorerkenntnisse; darunter 16 Personen aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität.
Im Verlauf der polizeilichen Einsätze wurden insgesamt 61 Polizeibeamte verletzt, überwiegend durch Wurfgeschosse und bei Widerstandshandlungen. Schwerwiegende Verletzungen sind nach dem bisherigen Erkenntnisstand glücklicherweise nicht darunter.“
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Im Extrablatt sind Dokumente abgedruckt, die geeignet sind, das rechtmäßige Vorgehen in dieser Woche im Falle der Liebigstraße 14 zu bezweifeln. Der 4. Strafsenat des Kammergerichts Berlin hatte am 15.12.2008 unter dem Aktenzeichen (4) 1 Ss 316/08 (173/08) ein Urteil auf Basis der Normen 77 Abs 1 StGB, § 123 StGB, § 546 Abs 2 BGB gefällt Damals ging es um die Zwangsräumumg der Yorckstr. 59, wo heute mittlerweile ein Til Schweiger wohnt.
Das zweite Dokument stammt aus dem Fall des besetzten Hauses Bödikerstr.9 in Friedrichshain, welches im März vergangenen Jahres geräumt worden war. Damals beriefen sich die Besetzer in ihrer Pressemitteilung auf einen Bundesgerichtshofbeschluss vom August 2008, der Räumungen untersagt, wenn der Vollstreckungstitel Dritte als zum Beispiel betroffene Untermieter nicht nennt.
Der Anwalt der Liebigstraßen 14-Bewohner erwägt eine Dienstaufsichtsbeschwerde wg. Mißachtens der höchstrichterlichen Entscheidungen.
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Letztes Wort
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„Macht doch den zweiten Fensterladen auch auf, damit mehr Licht hereinkomme.“, oft verkürzt zu „Mehr Licht!“
Johann Wolfgang von Goethe, deutscher Dichter, 1832, 22. März, mittags ein halb zwölf Uhr.
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Extrablatt
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Spruch des Kammergerichts Berlin vom 15.12.2008
Hausfriedensbruch: Wirksamkeit des Strafantrags eines Vermieters gegen Untermieter wegen Widerstandes gegen eine Zwangsräumung
Leitsatz
Der wegen Hausfriedensbruchs gestellte Strafantrag eines Vermieters gegen Untermieter und deren Sympathisanten, die sich gegen eine Zwangsräumung zur Wehr setzen, ist unwirksam, wenn der Vermieter keine gerichtliche Klärung herbeigeführt hat, dass (auch) die Untermieter zur Räumung verpflichtet sind. Das Hausrecht der Untermieter endet erst, wenn der Vermieter aufgrund eines gegen sie erwirkten Räumungstitels wieder den unmittelbaren Besitz am Mietgegenstand erlangt hat.
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. April 2008 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
1
Die Staatsanwaltschaft legt der Angeklagten gemeinschaftlich begangenen Hausfriedensbruch zur Last, indem sie sich spätestens am 6. Juni 2005 gegen den Willen des Hausrechtsinhabers in das Haus Y.straße 59 in Berlin-Kreuzberg begeben und dort auf Grund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit 145 weiteren Personen im Hinterhaus aufgehalten habe, obwohl ihr bewusst gewesen sei, dass das Haus zwangsweise geräumt werden sollte; gegen 7.14 Uhr des 6. Juni 2005 sei sie von Polizeikräften aus dem Gebäude verbracht worden. Das Amtsgericht Tiergarten hat das Verfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, weil kein wirksamer Strafantrag vorliege. Das Landgericht hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vermietete Ende der achtziger Jahre die damalige Eigentümerin des Grundstückes Y.straße 59 in Berlin-Kreuzberg das darauf befindliche vierstöckige Hinterhaus mit einer Nutzfläche von etwa 2.600 qm an den Verein „F. e.V.“ (im Folgenden: Verein). Dem Verein, der den Zweck verfolgte, dort ein Wohnprojekt zu etablieren, wurde gestattet, die Räume zur dauerhaften Wohnnutzung an seine Mitglieder unterzuvermieten. In den folgenden Jahren lebten und arbeiteten in dem Haus eine Vielzahl von Personen.
3
Am 20. Dezember 2003 erwarben die Gesellschafter der GbR Y.straße 59, W. und die W. Verwaltungsgesellschaft mbH, deren Geschäftsführer W. war, das Grundstück; sie wurden als Eigentümer in Gesellschaft bürgerlichen Rechts am 12. Oktober 2004 in das Grundbuch eingetragen.
4
Nachdem Verhandlungen zwischen den neuen Eigentümern und dem Verein über die neu festzusetzende Miethöhe gescheitert waren, verzichtete der Verein am 30. September 2004 auf die Ausübung seiner Option, das Mietverhältnis fortzusetzen, das daraufhin endete. Zu dieser Zeit bewohnten etwa 60 Vereinsmitglieder in mehreren Wohngemeinschaften aufgrund von Untermietverträgen das Hinterhaus. Der Verein hatte in den Jahren 1993 bis 1994 mit seinen Mitgliedern mehrere schriftliche Untermietverträge abgeschlossen und ihnen die Wohnraumnutzung auf unbestimmte Zeit gegen Zahlung eines Mietzinses überlassen. Die vereinbarte Kündigungsfrist betrug drei Monate. Die Untermieter durften bei Auszug einen Nachmieter bestimmen. Später wurden teilweise auch lediglich mündliche Untermietverträge geschlossen.
5
Der Verein und die Untermieter räumten das Gebäude nach Beendigung des Mietverhältnisses zum 30. September 2004 nicht. Die GbR Y.straße 59 (im Folgenden: GbR) verklagte daraufhin den Verein. Antragsgemäß verurteilte das Landgericht Berlin den Verein am 29. November 2004, die Räumlichkeiten des Objekts in der Y.straße 59 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben sowie Auskunft darüber zu geben, welche Personen aufgrund von Untermietverträgen die Räume im 1. bis 4. Geschoss des Gebäudes nutzen. In den Urteilsgründen führte das Gericht aus, dass der Auskunftsanspruch bestehe, weil die GbR zur Geltendmachung der Räumungsansprüche gegen die Untermieter auf die entsprechenden Auskünfte angewiesen sei. Das Urteil wurde am 4. März 2005 rechtskräftig.
6
Bereits am 25. Februar 2005 hatte der Verein eine Mitgliederversammlung einberufen. In dieser Versammlung, bei der die Bewohner des Hauses Y.straße 59 anwesend waren, wurden ihnen die Konsequenzen des Gerichtsurteils erläutert und die Kündigung der Untermietverträge ausgesprochen. Daraufhin brach unter den Versammlungsteilnehmern, die dies nicht hinnehmen wollten und sich durch den Vorstand „verraten“ fühlten, ein Tumult aus, der zur Auflösung der Versammlung führte.
7
Nach der Rechtskraft des Urteils wurde der Obergerichtsvollzieher L. mit der Räumung des Hinterhauses in der Y.straße 59 beauftragt. Der Obergerichtsvollzieher war der Rechtsauffassung, dass gesonderte Titel gegen die Untermieter nicht notwendig seien, weil es sich um einen Gewerbemietvertrag handele. Er rechnete allerdings damit, dass aufgrund der Untermietverträge Vollstreckungseinwände erhoben würden und hätte die Vollstreckung des Titels dann sofort abgebrochen. Da bereits im Vorfeld deutlich wurde, dass mit erheblichem Widerstand der dort wohnenden Personen zu rechnen sein würde, versicherte er sich der Unterstützung durch die Polizei. Als Termin für die Räumung wurde der 6. Juni 2005 festgesetzt. Der Gerichtsvollzieher ging davon aus, dass in dem Haus etwa 60 Personen mit ihrem Hausstand wohnten.
8
Am 31. Mai 2005 stellte W. im Namen der GbR Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs auf dem Grundstück Y.straße 59 „gegen jede sich unberechtigt dort aufhaltende Person“.
9
Am 6. Juni 2005 gegen 5.45 Uhr begann unter Aufsicht des Obergerichtsvollziehers L. die Räumung des Gebäudes. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich im 2. Obergeschoss des Hinterhauses 145 Personen, unter ihnen auch die Angeklagte, eingefunden, um gegen die Räumung zu protestieren. Die Angeklagte trug über ihrer Kleidung ein blaues Hemd mit dem Aufdruck „Räum mich doch du Eierloch“. Als die Polizeibeamten den Hinterhof betraten, wurden sie aus den oberen Stockwerken mit Farbbeuteln beworfen. Die Eingangstüren zum Hinterhaus waren mit Schlössern gesichert, die durch die Polizei aufgebrochen werden mussten. Im Hinterhaus war die in die oberen Stockwerke führende Treppe durch dort gestapeltes Mobiliar derart versperrt, dass den in den oberen Stockwerken befindlichen Personen ein Verlassen des Hauses nicht mehr möglich gewesen wäre und die Polizeikräfte erhebliche Mühe hatten, die Treppe zu räumen. Nachdem dies gelungen war, trafen die Polizeibeamten im 2. Obergeschoss gegen 7.15 Uhr die dort befindliche Gruppe von insgesamt 145 Personen an. Die Angeklagte ließ sich durch die Beamten widerstandslos aus dem Gebäude führen, fotografieren und erkennungsdienstlich behandeln.
10
2. Die von der Revision nicht angegriffenen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen, dass ein wirksamer Strafantrag nicht gestellt worden ist und damit eine Prozessvoraussetzung fehlt.
11
a) Gemäß § 123 Abs. 2 StGB wird die Tat nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist gemäß § 77 Abs. 1 StGB der Verletzte der Straftat, im Falle des § 123 Abs. 1 StGB somit derjenige, der zum Zeitpunkt der Tat das Hausrecht inne hatte (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl., § 123 Rdn. 44).
12
b) Die GbR, in deren Namen der Strafantrag gestellt worden ist, war im Tatzeitpunkt nicht Inhaberin des Hausrechts.
13
aa) Nach allgemeiner Auffassung steht das Hausrecht einem Mieter gegenüber dem Vermieter auch noch nach Beendigung des Mitverhältnisses zu, solange er sich im unmittelbaren Besitz befindet; daran ändert auch die schuldrechtliche Pflicht zur Rückgabe nichts (vgl. RGSt. 36, 322, 323; OLG Hamburg NStZ 1997, 38, 39; Fischer aaO, § 123 Rdn. 3; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 123 Rdn. 17 m.w.N.). Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass der Mieter die Sachherrschaft an den Mieträumen rechtmäßig begründet hat und ihm auch nach dem Ablauf des Mietvertrages bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung über das Bestehen der Pflicht zur Räumung eine schutzwürdige Position zusteht (vgl. Dölling, JR 1992, 167). Das Hausrecht des Mieters endet daher erst, wenn der Vermieter auf Grund eines Räumungstitels wieder den unmittelbaren Besitz am Mietgegenstand erlangt hat (vgl. OLG Hamburg aaO).
14
bb) Diese Grundsätze gelten auch im Verhältnis zwischen dem Vermieter und denjenigen, an die der (Haupt-)Mieter den Mietgegenstand weiter vermietet hat. Das Hausrecht geht auf die Untermieter über. Der Umstand, dass die Untermieter nach der Beendigung des Hauptmietverhältnisses schuldrechtlich gegenüber dem Vermieter zur Räumung verpflichtet sind (§ 546 Abs. 2 BGB) – und zwar unabhängig davon, ob das Untermietverhältnis noch Bestand hat oder nicht -, ändert nichts daran, dass der Vermieter im Verhältnis zu den Untermietern Inhaber des Hausrechts erst dann wieder wird, wenn er den unmittelbaren Besitz des Mietgegenstands erlangt hat. Er muss daher gegen die Untermieter, sofern sie ihm den Mietgegenstand nicht freiwillig übergeben, den zivilrechtlichen Rechtsweg beschreiten. Der Räumungstitel gegen den Hauptmieter entfaltet gegenüber den Untermietern nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum keine rechtliche Wirkung (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1450, 1451; Palandt/Weidenkaff, BGB 67. Aufl., § 546 Rdn. 24 m.w.N.). Hiervon ist offenbar ursprünglich auch die GbR ausgegangen, da sie die Räumungsklage gegen den Hauptmieter mit der Klage auf Auskunftserteilung betreffend die Untermieter verbunden hatte; das Landgericht Berlin hat in seinem Urteil vom 29. November 2003 den Auskunftsanspruch damit begründet, dass die GbR zur Geltendmachung der Räumungsansprüche auf die entsprechenden Auskünfte angewiesen sei.
15
cc) Da somit das Hausrecht frühestens mit der Übergabe des Mietobjekts nach der Zwangsräumung an die GbR übergegangen sein kann, ist sie durch das Verhalten der Angeklagten nicht in dem durch § 123 StGB geschützten Recht verletzt worden.
16
dd) Entgegen der Auffassung der Revision steht diesem Ergebnis nicht das Urteil des OLG Düsseldorf vom 26. September 1990 – 2 Ss 208/90-41/90 III – (NJW 1991, 186 = JR 1992, 165 m. Anm. Dölling) entgegen; eine Vorlagepflicht gemäß § 121 Abs. 1 GVG besteht nicht.
17
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf betraf einen Sachverhalt, bei dem nach einem abgeschlossenen Räumungsprozess die Räumung durch den Gerichtsvollzieher mit der Besetzung der Wohnung verhindert werden sollte. Das OLG Düsseldorf hat für diesen Fall den Rechtssatz aufgestellt, dass ein Mieter, der seinen Besitz erkennbar auf Grund eines neuen Entschlusses nicht mehr aus dem früheren Vertragsverhältnis ableitet, sondern auf eine angemaßte und nicht schützenswerte vermeintliche Rechtsposition („Hausbesetzung“) stützt, sich wegen Hausfriedensbruchs strafbar macht. Voraussetzung dafür, dass das Hausrecht wieder an den Vermieter zurückfällt, ist aber, dass die „Hausbesetzung“ nach Ablauf des Mietvertrages, etwaiger Räumungsfristen und zivilrechtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten erfolgt (vgl. Dölling aaO, 168). So verhält es hier sich nicht, denn die GbR hatte einen Räumungstitel gegen die Untermieter nicht erwirkt und damit die – zwingend gebotene (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1450, 1451) – gerichtliche Klärung, dass die Untermieter zur Räumung verpflichtet sind, nicht herbeigeführt.
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3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.
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Rechtswidrige Räumung in der Bödikerstr. 9 (Berlin) am 16.03.2010
Pressemitteilung der Bödi9 vom 18.03.2010
Am Dienstag Vormittag wurde die EG-Wohnung im Hausprojekt Bödi9 bei einem vierstündigen, rechtswidrigen Polizeieinsatz geräumt. Dadurch wurde das Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 24.03.2009 vorläufig vollstreckt (vorläufig, weil zur Zeit noch eine Rechtsbeschwerde beim BGH anhängig ist). Außerdem setzten sich die Eigentümer, vertreten durch Herrn Burkhard Voss, zusammen mit der Gerichtsvollzieherin Yvonne Sommerfeld in verbotener Eigenmacht (§858 BGB) über die geltende Rechtslage hinweg, die aus einem vorgelegten BGH-Beschluss vom 14.08.2008 hervorgeht (Az. I ZB 39/08). Dieser besagt, dass eine Räumung nicht durchgeführt werden darf, wenn ein vorhandener Untermieter nicht im Vollstreckungstitel genannt ist. Dies gelte selbst dann, so der BGH, wenn der Verdacht besteht, dass die Untervermietung nur dem Zweck dient, die Räumung zu verhindern. Daran war auch schon das Berliner Kammergericht bei seiner Entscheidung im Dezember 2008 zur Räumung der Yorck59 am 6.6.2005 gebunden.
Selbst die Empfehlung der Gerichtsvollzieherstelle am AG Lichtenberg, die Aktion abzubrechen, konnte Frau Sommerfeld letztlich nicht umstimmen, sodass die Polizei gegen 10 Uhr begann, die UnterstützerInnen, die Hof- und Hauseingänge blockierten, ohne Vorwarnung massiv mit Pfefferspray zu attackieren. Erst gute zwei Stunden später und nach dem Eintreffen der Verstärkung (ca. 20 Wannen) gelang es den Einsatzkräften ins Quergebäude einzudringen, wo sie sich fälschlicher Weise zunächst Zutritt zu einer Eigentumswohnung verschafften, die gar nicht zum Hausprojekt gehört. Gegen 13 Uhr war dann die richtige Wohnung provisorisch mit Brettern verschlossen. Insgesamt gab es mehrere Verletzte, einige Platzverweise und kurzzeitige Ingewahrsamnahmen sowie drei Gefangene, die aber bis zum Abend wieder frei waren.
Die Räumung wird auf jeden Fall ein juristisches Nachspiel für alle Verantwortlichen haben. Es wird daher darum gebeten, Film- und Fotoaufnahmen, Gedächnisprotokolle etc. dem Berliner Ermittlungsausschuss zukommen zu lassen (nicht per Internet, sondern nur persönlich) und sich dort zu melden, wenn man von polizeilicher Gewalt betroffen war oder unangenehme Post bekommen sollte.
Wir verurteilen das Vorgehen der Eigentümer Lin und Robert Prenka, die aus reiner Profitgier handeln, sowie das der offensichtlich völlig überforderten Gerichtsvollzieherin, die zugunsten privater und wirtschaftlicher Interessen höchstrichterliche Entscheidungen ignoriert. Ebenso scharf kritisieren wir das Auftreten der Polizei, die willkürlich und mit Gewalt gegen friedliche Proteste vorgeht und die nun die dritte rechtswidrige Räumung innerhalb von fünf Jahren durchgesetzt hat.
Ein riesiges Dankeschön geht an die mehr als hundert UnterstützerInnen, die mit uns auf verschiedenste Weise versucht haben, die Räumung zu verhindern. Dazu gehörten unter vielen anderen auch die Clownsarmee, AktivistInnen, NachbarInnen, PolitikerInnen sowie unser Anwalt Max Althoff. Trotz der momentanen Einschränkungen werden wir weiterhin versuchen, Veranstaltungen anzubieten und unseren Kiez mitzugestalten, und natürlich werden wir weiter für den Erhalt des Hausprojekts und für eine langfristige Lösung kämpfen. Bödi bleibt! Wir bleiben alle!!!