Berliner Abendblätter 2.00 am 8.10.

7.10.

Emi- oder Integration?
Status Quo einer Diskussion
Die Islamismus-Debatte, ja, es ist eine solche, es geht um den Generalverdacht, dass alle Moslems in missionarischem Eifer in Deutschland lebten, schrabbt an „christlich-abendländische Leitplanken“ (Volker Bouffier). Gestern wurde sie im Bundestag geführt.
„Keine Ahnung, keine Meinung, kein Konzept“, bescheinigt der Grüne Volker Beck den Kritikern Christian Wulffs in der Integrationsfrage. „Muslimisches Leben gehört zur gesellschaftlichen Realität in Deutschland“ sagt der Bundestagsabgeordnete Stefan Müller (CSU), gemeint ist zur Gesellschaft, aber nicht zur Kultur. Der Lauinger Stadtpfarrer Lothar Hartmann springt in der Presse argumentativ bei mit der alten Differenzierung von Kultur und Gesellschaft: Kultur ist Wertekanon, alltägliche Realität ist Gemüsestand. Demzufolge könnten die Türken auch weiter türkisch reden. Ihre Zwiebeln werden sie auf dem Wochenmarkt schon los.
Der Islam ist für die Mehrheit in der CSU nicht prägend und grundlegend wie die christlich-jüdische Tradition. Die hat eine besondere Stellung. Wer so denkt hat vergessen: In dem Wort christlich steckt auch schön jüdisch, das Alte Testament ist das längste Vorwort der Weltgeschichte. Wird von der Rede über das „Christlich-Jüdische“ nicht das Jüdische vereinnahmt, wird nicht so getan, als ob es nicht über alle Jahrhunderte größte Probleme gegeben hätte, in Europa beides stehen lassen zu können?
Vertreter der CSU tun so, als ob das Christliche und das Jüdische die Elternschaft über das Abendland beanspruchen dürften. Am Straßburger Münster sind Ecclesia und Synagoge dargestellt: diese blind, jene sehend, diese geschlagen, jene gesegnet, diese geduldet, jene staatstragend, das ist nicht das friedliche Nebeneinander vom Alten und Neuen Testament zwischen den Buchdeckeln der Bibel.
Schauen wir auf die Geschichte des Einwanderungslandes Preußen. Der König Friedrich Wilhelm I., auch „Soldatenkönig“ genannt, nahm die protestantischen Exulanten aus Salzburg, die Erzbischof Firmian vertrieben hatte, in seinen entvölkerten Ostprovinzen auf. Im Mai 1732 wurden Salzburger in Zehlendorf empfangen mit den Worten „Mir neue Söhne – Euch ein mildes Vaterland.“ Die Reformation hatte durch den Leitsatz „cuius regio, eius religio“ auf ein Jahrhundert die religiöse Identität von Obrigkeit und Untertanen proklamiert, was in den 30-jährigen Krieg geführt hatte. Erst der Westfälische Friede hat ein friedliches Miteinander im zweikonfessionellen Reich möglich gemacht. Nur die Reichsstädte kannten eine Kultur des Nebeneinanders von Katholiken, Lutheranern, Reformierten und Juden. Stadtluft macht frei!
Integration ist Eingliederung und die führt zur Zugehörigkeit!
Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf meint im Bundestag gestern als Vertreter des Bundesrats, Wulffs Aussage von dr Zugehörigkeit der Muslime toppend, Leitkultur sei Bestandteil der Zugehörigkeit, Muslime deswegen Leitkultur!
Zwei Fehler tauchen häufig auf in den Argumentationen:
Einerseits billiger Konservatismus, z.B. der Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky, der die Aussage Wulffs in Bremen ahistorisch nennt. Für die an den Tag gelegte Mentalität ist das, was sein soll, das, was war. Jemand, der Zukunft mitgestalten will, kann sich nicht zufrieden geben mit dem Blick auf die Altvorderen, wie die es gemacht haben.
Andererseits eine Überhöhung der Religion. Die mittelalterlichen Gesellschaften waren es, die das religiöse Bekenntnis zur wichtigsten, ja einzigen Eigenschaft des Individuums erkoren haben. Die Moderne rückt dieses Alleinstellungsmerkmal zurecht. Religion ist Privatsache und eine Facette der Identität.
Unzulässig ist auch die Reduzierung einer Person auf die nationale Zugehörigkeit. Wenn die Entscheidung der Schwedischen Kgl. Akademie verkürzt wird auf die Nachricht „Literaturnobelpreis geht nach Peru“ ist das die krudeste Verkürzung. Herr Vargas Llosa ist Peruaner, aber nicht nur das. Er ist liberal-konservativer Gesinnung, stand früher mehr links. Er hat eine sexuelle Identität. Er ist ein Was und ein Wer aus Fleisch und Blut
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Berliner Polizeibericht
Kunstdiebstahl
Tempelhof-Schöneberg, 7.10.
Unbekannte Täter haben gestern Abend auf einer Kunstausstellung in der Schöneberger „Urania“ drei Bronzestatuen entwendet.
Gegen 21 Uhr bemerkten zwei Künstler im Alter von 43 und 55 Jahren, wie ein Mann eine Bronzestatur in den Händen hielt und mit dieser durch den Nebenausgang an der Filmbühne die „Urania“ verließ. Nach Augenzeugenberichten lief der Unbekannte anschließend über den Gehweg An der Urania in Richtung Courbierestraße, wo er die Skulptur in einen wartenden „Van“ einlud. Anschließend stieg der Mann ebenfalls in das Auto ein und entfernte sich in Richtung Kurfürstenstraße. Weitere Nachforschungen ergaben, dass zuvor zwei weitere Bronzestatuen auf der Kunstausstellung entwendet worden waren.
Zu den Objekten: „Don Quichotte“ Mann mit Lanze auf Pferd, Maße: 64x63x16 cm
„Guten Morgen“ kämpfende Hähne, 100x50x50 cm
„Sie IV“ weiblicher Torso mit Dornenkrone, 49x14x12 cm.
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Fußgänger aus Wohnung heraus beschossen
Friedrichshain-Kreuzberg, 5.10.
Ein Fußgänger in Kreuzberg bemerkte heute Mittag mehrere Einschlagsgeräusche neben seinem Kopf. Der 51-Jährige ging gegen 12 Uhr die Waldemarstraße entlang und nahm kurz vor dem Mariannenplatz zwei dicht aufeinander folgende, metallene Knallgeräusche an einem Straßenschild in Höhe seines Kopfes wahr. Er konnte gerade noch sehen, wie eine männliche Person im 3. Stock eines Wohnhauses eine Langwaffe von der Fensterbrüstung zurückzog. Der Beschossene merkte sich die Schützenposition und alarmierte die Polizei, die kurz darauf einen 42-Jährigen in dessen Wohnung in der Waldemarstraße festnahm. Der Schütze räumte ein, im Besitz eines Luftgewehrs zu sein, die Beamten beschlagnahmten die Waffe.
Den 42-Jährigen erwarten Ermittlungsverfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz.
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Letztes Wort
„Sigan ustedes sabiendo que, mucho más temprano que tarde, se abrirán de nuevo las grandes alamedas por donde pase el hombre libre, para construir una sociedad mejor. ¡Viva Chile! ¡Viva el pueblo! ¡Vivan los trabajadores! Estas son mis últimas palabras, teniendo la certeza de que mi sacrificio no será en vano. Tengo la certeza de que, por lo menos, habrá una sanción moral que castigará la felonía, la cobardía y la traición.“ („Sie sollen wissen, dass sich eher früher als später erneut die großen Straßen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht. Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Werktätigen! Das sind meine letzten Worte. Ich habe die Gewissheit, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird. Ich habe die Gewissheit, dass es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat strafen wird.“) [letzte Radioansprache vor dem Selbstmord] Quelle: Josef Lawrezki: Salvador Allende, Verlag neues Leben, 1975
* „Allende no se rinde mierda.“ („Scheiße nochmal – Allende ergibt sich nicht.“) [letzte Worte vor dem Selbstmord] Quelle: Fernando Diego García und Oscar Sola (Hrsg.): Allende. Das Ende einer Ära. Berlin, 1998.
Salvador Allende (1973), chilenischer Politiker