Prozess gegen Ex-RAF-Terroristin Viett ausgesetzt
dpa
Der Prozessbeginn gegen die ehemalige RAF-Terroristin Inge Viett vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin ist am Freitag geplatzt. Die Angeklagte hatte ein ärztliches Attest eingereicht und sich entschuldigt.
Sie sei erkrankt und verhandlungsunfähig, las die Vorsitzende Richterin Imke Hammer aus einer Mitteilung von Vietts Verteidiger vor. „Ohne Frau Viett können wir nicht verhandeln“, sagte die Richterin. Die Gerichtsverhandlungen wurden deshalb ausgesetzt. Auch Vietts Anwalt war zum Prozessbeginn, der großes öffentliches Interesse auf sich zog, nicht erschienen.
Die Ex-Terroristin der Rote Armee Fraktion (RAF) muss sich vor Gericht verantworten, weil die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage wegen der mutmaßlichen Billigung von Straftaten erhoben hat. Viett soll im Januar auf einer Konferenz in Berlin Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge gerechtfertigt haben. Auf einer Podiumsdiskussion am 8. Januar soll die 67 Jahre alte Frau gesagt haben: „Wenn Deutschland Krieg führt und als Anti-Kriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion.“
Das bestätigte der Sprecher der Berliner Strafgerichte, Tobias Kaehne. Viett habe sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. Wann ein nächster Gerichtstermin angesetzt wird, ist unklar.
Viett gehörte in den 70er und 80er Jahren zu einer der meistgesuchten Terroristen der Rote Armee-Fraktion. Sie war Teil der Gruppe „Bewegung 2. Juni“, die den damaligen Berliner CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz im Jahr 1975 entführte. Viett wurde 1992 zu 13 Jahren Haft verurteilt, weil sie auf einen französischen Polizisten geschossen hatte. Sie kam aber frühzeitig im Jahr 1997 wieder auf freien Fuß.
quelle: focus
aus anlass der fortsetzung des prozesses an der turmstraße um 9 uhr am 5.8.:
07.06.2011 / ——————————————————————————–
Jagd auf Kriegsgegner
Von Claudia Wangerin
Soll in Kriegszeiten nicht mehr gesagt werden dürfen: Zerstörtes Bundeswehrgerät richtet keinen Schaden an
Inge Viett ist wieder in den Schlagzeilen – und mit ihr die junge Welt: Wegen einer Meinungsäußerung über militante Antikriegsaktionen auf dem Podium der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz Anfang Januar hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage wegen Billigung von Straftaten gegen das ehemalige RAF-Mitglied erhoben. Das »ehemalig« sparte sich die Springer-Zeitung Die Welt in ihrer Überschrift, als sie am Montag über den Fall berichtete: »Staatsanwaltschaft klagt RAF-Terroristin Viett an«, schrieb das Blatt knapp 30 Jahre, nachdem Inge Viett aus der Untergrundorganisation Rote Armee Fraktion ausgestiegen war und in der DDR ein neues Leben angefangen hatte. »Im Gegensatz zu vielen ihrer früheren Weggefährten hat sich Viett nie erkennbar von der RAF distanziert«, heißt es in dem Artikel. Und: »Ihre Strafe von 13 Jahren mußte Viett nur zur Hälfte verbüßen«.
Die Äußerung, für die nun erneut Anklage gegen die 67jährige erhoben wurde, lautet: »Wenn Deutschland Krieg führt und als Antikriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion, wie auch Sabotage im Betrieb an Rüstungsgütern, illegale Streikaktionen, Betriebs- und Hausbesetzungen, militante antifaschistische Aktionen, Gegenwehr bei Polizeiattacken.« Die Anklageschrift nach Paragraph 140 listet der Staatsanwaltschaft zufolge neun Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge im Zeitraum von Juni 2009 bis Mai 2010 auf. »Frau Viett wird vorgeworfen, vor etwa 1200 Zuhörern, darunter den versammelten Journalisten aus Funk und Presse, unter anderem die genannten Taten gebilligt zu haben«, zitiert die Welt den Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner. Seither wird Inge Viett allerhand angelastet: Für einen Brandanschlag auf einen Kabelkanal am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz vor zwei Wochen machte sie etwa der Innenausschußvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU) mitverantwortlich – obwohl ihre Aussage über Sachbeschädigungen sich auf Rüstungsgüter bezog. »Genau durch solche Sprüche« wird nach Bosbachs Meinung »Kriminellen eine politische Legitimation verliehen«.
Die Podiumsdiskussion zum Thema »Wo bitte geht’s zum Kommunismus?« bei der von junge Welt veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz war schon im Vorfeld von Springer-Medien skandalisiert worden, die damit der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit und dem Spiegel folgten. Grundlage war ein Artikel, den Linkspartei-Chefin Gesine Lötzsch zur Vorbereitung der Konferenz in der jungen Welt veröffentlicht hatte. Die Spitzenpolitikerin hielt dem Druck so weit stand, daß sie zwar als Rednerin zu der Tagung erschien, jedoch nicht wie geplant an der Podiumsdiskussion mit Inge Viett, der DKP-Vorsitzenden Bettina Jürgensen und anderen teilnahm.
Welt-Autor Uwe Müller nutzte am Montag die Anklage gegen Viett, um genüßlich in Richtung Lötzsch und Linkspartei nachzutreten: Die Vorsitzende gelte seither »in den eigenen Reihen als angeschlagen«, eine Teilnahme an der Talkrunde wäre »einem politischen Harakiri gleichgekommen«. Und: Lötzsch hätte die nun inkriminierte Passage »frühzeitig kennen können«– stand sie doch vier Tage vor der Veranstaltung in Vietts Positionsartikel in der jungen Welt.
Viett selbst will sich vor dem Prozeß mit öffentlichen Stellungnahmen zurückhalten. Im Fall einer Verurteilung drohen ihr bis zu drei Jahre Haft. Der zuständige Sprecher der Staatsanwaltschaft war am Montag trotz mehrmaliger Nachfrage für diese Zeitung nicht zu sprechen..